This is a digital copy of a book that was preserved for generations on library shelves before it was carefully scanned by Google as part of a project
to make the world's books discoverable online.
It has survived long enough for the Copyright to expire and the book to enter the public domain. A public domain book is one that was never subject
to Copyright or whose legal Copyright term has expired. Whether a book is in the public domain may vary country to country. Public domain books
are our gateways to the past, representing a wealth of history, culture and knowledge that 's often difficult to discover.
Marks, notations and other marginalia present in the original volume will appear in this file - a reminder of this book's long journey from the
publisher to a library and finally to you.
Usage guidelines
Google is proud to partner with libraries to digitize public domain materials and make them widely accessible. Public domain books belong to the
public and we are merely their custodians. Nevertheless, this work is expensive, so in order to keep providing this resource, we have taken Steps to
prevent abuse by commercial parties, including placing technical restrictions on automated querying.
We also ask that you:
+ Make non-commercial use of the file s We designed Google Book Search for use by individuals, and we request that you use these files for
personal, non-commercial purposes.
+ Refrain from automated querying Do not send automated queries of any sort to Google's System: If you are conducting research on machine
translation, optical character recognition or other areas where access to a large amount of text is helpful, please contact us. We encourage the
use of public domain materials for these purposes and may be able to help.
+ Maintain attribution The Google "watermark" you see on each file is essential for informing people about this project and helping them find
additional materials through Google Book Search. Please do not remove it.
+ Keep it legal Whatever your use, remember that you are responsible for ensuring that what you are doing is legal. Do not assume that just
because we believe a book is in the public domain for users in the United States, that the work is also in the public domain for users in other
countries. Whether a book is still in Copyright varies from country to country, and we can't off er guidance on whether any specific use of
any specific book is allowed. Please do not assume that a book's appearance in Google Book Search means it can be used in any manner
any where in the world. Copyright infringement liability can be quite severe.
About Google Book Search
Google's mission is to organize the world's Information and to make it universally accessible and useful. Google Book Search helps readers
discover the world's books white helping authors and publishers reach new audiences. You can search through the füll text of this book on the web
at |http : //books . google . com/
über dieses Buch
Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen in den Regalen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google im
Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Welt online verfügbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde.
Das Buch hat das Urheberrecht überdauert und kann nun öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein öffentlich zugängliches Buch ist ein Buch,
das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ist. Ob ein Buch öffentlich zugänglich ist, kann
von Land zu Land unterschiedlich sein. Öffentlich zugängliche Bücher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kulturelles
und wissenschaftliches Vermögen dar, das häufig nur schwierig zu entdecken ist.
Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die im Originalband enthalten sind, finden sich auch in dieser Datei - eine Erin-
nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat.
Nutzungsrichtlinien
Google ist stolz, mit Bibliotheken in partnerschaftlicher Zusammenarbeit öffentlich zugängliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse
zugänglich zu machen. Öffentlich zugängliche Bücher gehören der Öffentlichkeit, und wir sind nur ihre Hüter. Nichtsdestotrotz ist diese
Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfügung stellen zu können, haben wir Schritte unternommen, um den Missbrauch durch
kommerzielle Parteien zu verhindern. Dazu gehören technische Einschränkungen für automatisierte Abfragen.
Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien:
+ Nutzung der Dateien zu nichtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche für Endanwender konzipiert und möchten, dass Sie diese
Dateien nur für persönliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden.
+ Keine automatisierten Abfragen Senden Sie keine automatisierten Abfragen irgendwelcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen
über maschinelle Übersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche durchführen, in denen der Zugang zu Text in großen Mengen
nützlich ist, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fördern die Nutzung des öffentlich zugänglichen Materials für diese Zwecke und können Ihnen
unter Umständen helfen.
+ Beibehaltung von Google -Markenelementen Das "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei finden, ist wichtig zur Information über
dieses Projekt und hilft den Anwendern weiteres Material über Google Buchsuche zu finden. Bitte entfernen Sie das Wasserzeichen nicht.
+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalität Unabhängig von Ihrem Verwendungszweck müssen Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sein,
sicherzustellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafürhalten für Nutzer in den USA
öffentlich zugänglich ist, auch für Nutzer in anderen Ländern öffentlich zugänglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist
von Land zu Land verschieden. Wir können keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulässig
ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es in jeder Form und überall auf der
Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben.
Über Google Buchsuche
Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten Informationen zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Google
Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser Welt zu entdecken, und unterstützt Autoren und Verleger dabei, neue Zielgruppen zu erreichen.
Den gesamten Buchtext können Sie im Internet unter http : //books . google . com durchsuchen.
>lb3^,4SJ^<^
HARVARD COLLEGE
LIBRARY
FROM THB FUND GIVBN
IN MEMORY OF
GEORGE SILSBEE HALE
AND
ELLEN SEVER HALE
in ^
„Iie..
Von Arthur Holitscher ist erschienen :
Bei S. Fischer, Verlag, Berlin:
Das sentimentale Abenteaer. Erzählung.
Bei Albert Langen, München:
Weisse Liebe. Roman.
Der vergiftete Bronnen. Roman.
An die Schönheit. Trauerspiel.
Von der Wollust und dem Tode. Novellen.
Bei Marquardt & Co., Berlin:
Charles Baudelaire. (Band XU. Die Literatur.)
Leben mit Menschen. (Band XIII. Die Kultur.)
Der Golem
Ghettolegende in drei Aufzügen
von
Arthur Holitscher
S. Fischer, Verlag, Berlin
1908
W'3C.'^S.)30
HARVARD^
INIVERSITY
I ( R A RY
DEC 9 1943
M^.
Alle Rechte vorbehalten. Den Bühnen gegenüber
Mannskript. Das Recht der Anfiühmng ist nur von
S. Fischer, Verlag, Berlin W., Bülowstr. 90 za erwerben.
Copyright 1908 by S. Fischer, Verlag, Berlin.
Dem Andenken meines Vaters
Personen :
Rabbi Bennabum
Seine Tocbter Abigail
Sein Knecht Amina, ein Golem
Raben Halbstamm, junger Kanfoiann
Seine Schwester Taube
Rahel, die Goldschmiedswitwe, mit ihrem Kind
Der ehrwürdige Mar doch, Altester der Gemeinde
Moschitzigy Narr
Krüppel; Männer, Weiber und Kinder
Schriftgelehrte, Schreiber und Schaler der Schrift
Jünglinge und Mädchen
Sechs Klageweiber; drei Judenmnsikanten;
Ghettovolk allesamt.
Spielt im Hause des Rabbi, im Ghetto einer Stadt Mittel-
deutschlands, in alter Zeit.
Der Schauplatz aUer drei Anif^üge ist die Diele im Hause
des Rabbi. — In der Rückwand befindet sich links (vom
Zuschauer) das Tor; es ist mit starken Schlössern und
Riegeln versehen, eine Querstange lehnt an der Mauer daneben ;
die Schwelle liegt tiefer als das Strafsenniveau. — Rechts ist
in derselben Wand ein niedres, sehr breites Fenster aus
undurchsichtigen Scheiben mit Holzläden davor. — Steht
das Fenster offen, so sieht man auf einen düsteren, winkeligen
Platz von mäfsiger Gröfse. — Unter dem Fenster läuft eine
Bank bis in die rechte Ecke des Raumes, welche stets im
Halbdunkel bleibt. — Knapp vor dieser Ecke munden die
letzten Stufen einer morschen Holztreppe, welche in die
Wohngemächer hinaufiuhrt. — Weiter vom rechts ein tiefer
Kamin mit vorgebautem Rauchhelm ; im Kamin auf Eisen-
böcken riesige Scheite Buchenholz, sowie verkohlte Strünke.
— Eine kleine Bank, vom an der Wand. — Ganz vome
rechts ein kaum mannshoher, mit einem auf Ringen gehen-
den schweren Teppich verhängter Einlafs zur Geheimkammer
des Rabbi, in der ein hochflackemdes Herdfeuer, Gläser,
Tierbälge und Musikinstrumente von absonderlichem Bau zu
sehen sind. — Links steht an die Mitte der Wand gerückt
ein grofses Gestühl aus verräuchertem, geschnitztem Holz;
hoher Baldachin; Tintenhora; auf dem Pult ein mit Eisen-
ketten ans Holz befestigter Foliant; davor ein Stundenglas,
sowie eine grofse Menorah -^ siebenarmiger Leuchter aus
Kupfer, in dem sieben gewaltige Wachskerzen stecken. An
der dem Zuschauer zugekehrten Seite des Pultes läuft in
ganzer Höhe ein breiter Spalt mit verbrannten Rändern, ge-
wellt, wie von einem Blitzschlag, zum Boden nieder, ans
dem an dieser Stelle ein faustgrofses Loch herausgebrannt
ist. — Zwischen dem Gestühl und dem Tor hängt ein me-
tallnes Waschbecken und ein Tuch an der Wand.
Erster Aufzug
Nachmittagsstnnde. — Tor und Fenster sind zn. — Amina,
der Golem, kauert, ganz in sich eingesunken, vor dem Vor-
hänge rechts vom. Seine Gestalt stellt in diesem Augen-
blicke einen Knäuel von Gliedmafsen vor. Er trägt die
grobe Tracht eines Knechtes, Wams, Kniehose aus Leder,
lange Strumpfe und breite Schuhe; seine Hände sind stark
-und rauh; sein Gesicht ist bartlos und blutleer.
Gedränge hinterm Tor; man h5rt Männer- und Frauen-
stimmen; vereinzelte Rufe; vereinzelte Schläge ans Tor.
Zeit ! Zeit ist I Lafs ein I Ruf den Rabbi !
Eine Stimme
Mach auf das Tor, Golem ! Darauf Stille. Dann
wieder steigendes Gemurmel: Lafs ein! Was läfst er
warten? Was schafft er? Was ruft er ihn nicht?
Ruf den Rabbi I
Dieselbe Stimme
Mach auf, Golem ! Stille. Dann ein Gewühl, ein
Andringen, das Tor geht knarrend auf.
Die Krüppel,
Männer, Weiber und Kinder, sind oben, noch in der Gasse,
erschrocken zurückgewichen.
Aufgebrochen! Aufgebrochen das Tor ! Wer
hat? *s ist aufgegangen! Aufgebrochen habt
ihr ! Nein, seht her, das Schlofs ist heil ! Von
selber, so wahr es einen Einzigen gibt, von
II
selber aufgegangen I Sie dringen sich, ganz leise aber
mit harten Stöfsen in den Raum herab. Einige streichen
mit der Hand über den Türpfosten, küssen sich die Finger
danach; mit klagender Stimme: Zum Guten ! Ge-
segnet dein Haus, Rabbi I Zum Guten über die
Schwelle !
Ein lahmer Alter,
der anf Krücken geht, kommt im Gedräng zu Falle; mehrere
bücken sich, bemühen sich um ihn.
Weh! Weh mir, ai, ail
Ein Bursche,
dessen Hände imd Arme bis an die Ellenbogen in Lein-
wandfetzen gewickelt sind, drängt sich vor.
Ein Buckliger
Gerschon, ai, ai, hast dir wehgetan?
Der Alte,
noch anf Knieen, fuchtelt mit der Krücke nach dem Burschen.
Die schlechten Kränken, Galgengesicht 1 Mit
seinem wehen Finger ! An mir da ist kein Fleck
gesund, die Milz und die Leber! Mufs er der
Erste sein übern Kopf weg !
Der Bursche
Woher weifst, dein Blut ist röter.? Vielleicht
ist meins röter!
Der Alte,
nunmehr aufgerichtet.
Bleib, wo du stehst! Er wird dich strafen!
12
Er wird dich zusammenschlagen wie alt Eisen !
Da einige ibn abstauben wollen, fcbütxend die HSnde aof
sein Gewand. Rührt nicht ! Der Staub unter seinen
Füfsen I Heilig der Staub, worauf er geht, der
Heilige Gottes, Wunder tut der Staub I
Ein altes Weib
scharrt aaf Knieen Staub vom Boden zusammen.
Eine Schwangere
Gib, gib mir in die Hand 1 Für das Bett,
für die' Kissen !
Eine
mit verbundenem Aug', wirft sich nieder, berührt den Boden
mit ihrer Binde, streift Staub in ein Beutelchen.
Das ist was Kostbares; für die Augen, für
das Herz!
Das alte Weib
Das ist ein Schatz, kannst Kinder ausgeben
damit I
Diese drei
Glück über uns Elende, dafs so ein Heiliger
geht unter uns!
Eine Frau mit einem Knaben,
den sie weinend knfst, kommt vor.
Der Knabe
Mutter ich fürcht mich!
Die Frau
Mein Herz, er wird dir die Hände auf die
13
Stime legen und gut wird dir sein für alle Zeit!
Nein, in die Fremde zu geben solch junges
Kindl
Ein Alter,
Beben ihr, kindisch eine Münze an einer Schnur schwenkend.
Nur ein Wort von ihm, drübergesprochen,
gegen den bösen Blick!
Der Knabe
▼erbirgt sich in den Rocken seiner Mntter.
Ich furcht mich, Mutter ich furcht mich!
Die Frau
Wovor denn, mein Herz? Sind wir auf-
gehoben wie nirgends in der bitteren Welt, hier
in seinem Haus!
Der Knabe
anf Amina weisend.
Mutter vor dem dort!
Die Frau
Es ist sein gröfstes Wunderwerk, es ist das
Geschöpf, das er sich geschaffen hat ; nie wird
es tun, was nicht der Willen des Rabbi ist;
was hast du dich zu fürchten mein Kind, vor
dem!
Der Knabe
Mutter ist der tot, oder schläft er?
14
Die Frau
Kind, er hat keine Seele mitbekommen, nur
den Gehorsam ! Nie hat ihn jemand sich regen
sehen, wenn der Rabbi es nicht geschickt hat
über ihnl
Der Knabe
Mutter komml Ich furcht mich vor dem
Rabbi 1
Einige Krüppel,
voran der Lahme, der Bncklige, der Bursche, ^egen den Vor-
hang rechts andrängend.
Seht den Golem ! Was ist mit dem Golem ?
Was regt er sich nicht? Was ruft er den Rabbi
nicht? Den Rabbi soll er rufen!
Der alte Lahme
Komm heraus zu uns, Heiliger ! Lafs stehn
den Herd drin, lafs stehn die Gläsclchen! Zu
uns komm heraus, Heiliger Gottes, Jahrhun-
dertsblum I
Die Krüppel,
Männer und Weiber.
Grofsmächtiger, sieh nach den Schwachen
und Zerrissenen! Rabbi 1 Gewaltiger!
Amina,
eine Bewegung geht durch seinen Körper, ändert aber seine
Haltung nicht.
15
Die Krüppel
drängen einige Schritte weit snrück.
Rabbi Bennabum
tritt ans der Kammer; hohe Gestalt, asketisch, mit wallen-
dem Bart; in einen abgetragenen Kaftan von weifser Farbe
gekleidet; er geht, das Gesicht der Kammer zugekehrt, wo
ein hochlodemdes Feuer su sehn ist, einige Schritte weit
taumelnd über die Bühne. Anfangs leise, dann steigend im Ton.
Ist dir zu enge, in meinem Feuer zu woh-
nen? So wirst du dich herausgeben in diese
meine Hände ! Kein Buchstabe von deinem Na-
men, kein Buchstab in deiner Schrift, der nicht
aussieht, wie ein flammendes Feuer! — Ich
werde sie herausreifsen, alle! Js^ mich mit
deiner heifsen Peitsche, streu mir Asche auf
Augen und Lippen 1 Heifst es erst — zu nah
bist du mir gekommen, werd ich dir schon ge-
bieten: — zurück! Zurück!!
Die Krüppel,
einige sind niedergekniet, haben sich die Binden von den
Wunden gerissen.
Mit wem spricht er, der Heilige ? Seht seine
Augen an — wo schaut er hin? Was schaut
er nicht herab auf uns ? Auf unsere Wunden
und Gebreste?
Rabbi,
die Leute erblickend.
Mein Tor ist aufgebrochen! Wie kommt
i6
ihr herein zu mir? Wer hat mein Tor aufge-
brochen wider meinen Willen?
Die Krüppel
sind auf den Knien za ihm bingerntscht ; greifen nach seinem
Gewands anm, den sie über Angen nnd Lippen fahren.
Aufgesprungen, Rabbi, von selber ist es auf-
gesprungen, dein Tor I Gott soll uns zertreten,
wenns nicht wahr istl Von selber I
Rabbi
sieht sich um.
Wo war er, den ich bestellt hab, das Haus
zu hüten?
Der alte Lahme
Der Golem war nicht davor. Heiliger I Wo
sollen wir die Kraft herhaben, zu verstofsen
gegen deinen Willen? Der Golem hat nicht
gewehrt ! Auf ist das Tor von selber !
Rabbi,
indem er sich zwischen Amina und die Krüppel stellt, neigt
er sein Haupt tief über den Scheitel Aminas herab; seine
Lippen bewegen sich, seine Hände bilden mit gespreizten
Daumen, die sich berühren, das Dreieck über der Brust
Aminas.
Herbei.
Amina
•erhebt sich steil, wie in die Höhe emporgezogen, mit nach
hinten gebogenem Rumpf.
Ich . . . bin . • . Die Stimme tonlos, doch stark.
17
3 Arthur Holitscher Der Golem
Der Knabe
zieht seine Matter nach vorn, weist mit einem kleben Schrei
anf den Rabbi nnd den Golem.
Der alte Lahme
die Krüppel zurückpressend.
Weg ! Macht zu eure Augen, wollt ihr blind
werden ?
Amina,
er schlägt mit den Armen um sich, reckt sich mit Kraft»
nnd storzt zom offenen Tor, unbehindert, weil die Krnppel
sich rechts und links an die Wände gedruckt haben. Von
der Gasse her ist, nach den Worten des Lahmen, ein rascb
anschweUendes Geschrei von Frauenstimmen näher ge-
kommen, das bald auf der Schwelle deutlich zu hören ist:
Offen ! Offen steht das Tor ! Hinein in's
Haus!
Die Goldschmiedsvitwe
kommt über die Stufen heruntergelaufen, ihr totes Kind^
ein fünfjähriges Mädchen, auf den Armen. Sechs zerfetzte
Klageweiber folgen ihr. Die Witwe hat sich dem Golem
entgegengeworfen, ihn mit Macht zurückgestofsen, jetzt bringt
sie das Kind vom zur Rampe hin, bettet es anf dem Boden,
die Klageweiber werfen sich im Halbkreis um das Kind
nieder; die Witwe reust sich ein Tuch vom Halse und schiebt
es dem Kind unters Köpfchen.
Blümchen, dein Köpfchen, liegst du mir gut?
Die Krüppel
schieben sich die Wände entlang zum Tor; in halblautem
entsetzten Gemurmel.
Eine Leiche ! Ein Leichnam im Haus 1 Un-
i8
rein! Wer ist's? Aschers Blümchen, Raheis
Kind! Ein Totes, ein Totes!
Einzelne
Unrein 1 Ein Totes ist im Haus ! Unrein
ist das Haus 1
Die Witwe
drängt alle zum Tor hinaus, die Klageweiber mit. Sie
schliefst das Tor geräuschvoll zu, kommt znrück.
Rabbi,
die Hand gegen Amina ansgestreckt, der ihrer Bewegung
wie gebannt zu folgen hat.
Zum Feuer du 1 Das Feuer soll mir brennen
bleiben I
Amina
in die Kammer ; man sieht ihn vor dem stark auflodernden
Feuer mit grofsen Schritten kommen und gehn.
Die Witwe
ist vor dem Kind hingekniet, richtet dem Kinde das Haar,
das Kleid. Sie ist mit dem Rabbi und dem Kind im Raum
aUein.
Es ist doch mein Einziges, ich bin doch
Rahel, die Witwe von Ascher, vom Goldschmied l
Sie steht auf, sieht sich lächelnd um, wie irrsinnig, kniet
gleich wieder hin und spricht zärtlich zum Kinde.
Rabbi
Dein Kind ist tot, Rahel 1 Wer hat dir ein-
gegeben die Gewalt, dafs du meinen Knecht
19
hast taumeln machen? Wer hat dir befohlen,
mir ein Totes herein zu bringen, durch mein
Tor?
Witwe
Wer mir befohlen hat? Pause; lie schüttelt den
Kopf als verstünde sie nicht. Ich hab nicht gerufen
die Klageweiber, von selber sind sie zu mir
gekommen. Auf das Kind weisend. Hab ich ihr
vielleicht ein weifs Kleidlein angezogen? Hab
ich daheim das brennend Licht hingestellt, das
Wasserglas? Rabbi, was sagst du mir armem
Weib: das Kind ist tot, das Kind ist tot —
Rabbi
Hüte deine Worte, Rahel, du sprichst wie
eine Gottlose!
Witwe,
aufschluchzend.
Wie soll ich an Gott glauben ? Er hat mir
alles genommen. An dich glaube ich, Rabbi,
an dicht Du wirst es mir zurückgeben.
Rabbi
weicht gegen den Vorhang der Kammer zurück, den er mit
der Linken zuschiebt, so dafs die Kammer verhüllt ist; die
Rechte hat er abwehrend erhoben.
Was sprichst du für ein Wort aus!
Witwe
An dich, an dich, nicht an ihn! Deine Hand,
20
Rabbi I Du wirst sie meinem Kind auf die
Augen legen und sie wird die Augen aufschla-
gen und sprechen: Mutter 1 Deine Hand, Rabbi!
Rabbi
Rahel, wenn da ist ein Totes im Haus, hat
Gott ein gut Gehör! Wer hat dir befohlen,
dafs du mir in mein Haus sollst kommen und
ihn lästern und ihn versuchen!
Witwe
So sprich zu ihm, sprich zu Gott, Rabbi.
Er kann doch nicht wollen, dafe das Kind vor
der Mutter sterben soll ? Er ist doch kein Narr,
dein Gott? Du mufst sprechen — nein, sprechen
nicht ! Rabbi, du Wunder des Zeitalters, Licht
im Exil, erwecke mein Kind I Erwecke !
Rabbi
Wer bin ich, dafs du mit solcher Red' zu
mir kommst? Bist du unmündig? Bist du von
Sinnen? Kennst mich denn nicht, siehst mich
denn zum ersten Mal? Hab ich mein Weib,
mein eigen Weib erwecken können, wie es mir
weggestorben ist?
Witwe
Frieden mit deinem Weib, Rabbi ! O könnte
man doch den Staub wegräumen über ihrem
Auge !
21
Rabbi
Ist es recht von Gott vielleicht, dafe die
Mutter in der Stund sterben mufs, wo sie ein
hilflos Kind in die Welt bringt ? Ist das recht
von Gott, sa^ ? — 's ist recht, sonst hätt er es
nicht getan. Ist nicht all mein Gebein erbebt
vor zu grofeem Schmerz, wie er es getan hat?
War da die Lampe nicht erloschen und das
Licht nicht verdunkelt? Es heifst tragen und
Gott loben.
Witwe
Rabbi, getragen hast du, aber gelobt — ge-
lobt hast du nicht 1 Gelobt hast du nicht ! Nicht
fürchte ich mich vor deiner Hand, und wenn
du sie noch so hoch tust auifheben. Was kann
mir geschehn? Zerschlagen kannst du mich;
was ist mir die Welt? Er kann sie behalten,
seine Welt, die er geschaffen hat. So lob ich
deinen Gott.
Rabbi
Gib mir ab, was du zuviel hast an Schmerz
in dir. Ich will es zermahlen zwischen dem
Herzen und dem Gehirn; ich will beten für
dich, Rahel, Ruhe wird über dich kommen und
du wirst gehn und die Gräser begiefsen auf
dem Hügel!
22
Witwe
spriogt auf, geht heram, zwischen Weines und Grelichter.
Dein Gebet! Ich brauche dein Gebet nicht!
Was wirfst du mir ein Almosen hin? Bist du
so arm geworden, dafs du nichts zu geben hast
als ein Gebet?
Rabbi
Mitleid darf ich mit dir haben ! Mein Herz
tu ich dir gutwillig auf, mein Tor hab ich nicht
gutwillig aufgetan vor dir; das Haus gehört
dem Herrn über Tod und Leben an, das ver-
gifs nicht, so lang du hier stehst I
Witwe
So war es der Wille des Herrn über Tod
und Leben, dafs das Tor soll offen stehen,
wenn ich komme ! Was hast du nicht gewirkt,
dafs ich umsonst rüttle an dem Tor? Wo warst
du daweil? Wo? — Rabbi, du lobst ihn! Und
wer hat mir befohlen, hereinzustürzen zu dir
— so geht deine Rede! Was weifs ich, ich
hab nichts mehr zu verlieren, und wenn der
Himmel einstürzt über mir, ich werde sprechen
vor dem dort oben, Rabbi, hier in dem Haus.
Rabbi
hat sich zum Kind geneigt, hält die Rechte über die Aogen,
die Linke nber den Schofi des Kindes.
Die Toten wird er aufwecken am Tag des
^3
Gerichts ; zwar, was ist da viel zu richten über
ein Kind? Lacht er nicht über das Unrecht,
das er tut? Dem Menschen gibt er ein Ge-
heimnis mit, davon soll der Mensch leben, und
zieht es wieder heraus aus ihm, und der Mensch
kann nicht weiterleben. Sein Geheimnis ! Er
kniet nieder und blickt dem Kind ins Antlitz.
Witwe
Wem willst du das sagen, du hast nichts
wie Gebete zwischen dir und deinem Gott, der
dir angetan hat das Fürchterliche, und mir an-
getan hat das Fürchterliche? Dein Feuer drin,
deinem Gott zu Ehren hast du's angezündet ?
Sie lacht auf; stark. Schick dein Feuer über mich !
Schick dein Geschöpf, das dir dein Feuer an-
schürt, schick es über mich! Und wenn ihr
zusammen so stark seid, wie der Leviathan,
nicht wird mir die Angst lähmen meine Zunge
Rabbi!
Rabbi
leise, sehr betont.
Im grofsen Feuer lebt er, dafs man nicht
kann bestehn vor ihm ; Asche läfst er herunter-
regnen auf Hand und Lippen, wenn man auf-
schaut in sein Angesicht. Was zieht er das
schwach Feuerlein aus dem armen Gehäus, und
24
schlägt damit herunter auf die lebenden Augen,
da(s sie sich entzünden von zu starkem Weinen ?
— Anpacken das Feuer, wer das könnt, dafs
es die Gewalt verspürt 1 Zurück giefsen in das
Gehäus, das verlassen ist! Oder verbrennen
auf einmal ! Er hat den Kopf des Kindes zu sich ge-
hoben, und hat sich auf den Knieen ein wenig angerichtet.
Witwe
Rabbi, was bin ich ? Ein einfältig Weib I
Woher kommt mir meine Rede ? Aus meinem
Schmerz herauf, daher, woher dir deine Gewalt
kommt. Rabbi hast du nicht von dem Tag ab,
wo dein Weib dir weggestorben ist, deine Ge-
walt aufgehoben gegen Gott ? Dein neugeboren
Kind, du hast sie Abigail doch nur benannt
vor den Menschen , aber vor Gott hast du
ihr den Namen Pniela gegeben, Pniela, nach
dem Ort, wo Jakob hat getroffen den Engel:
Ich lafs dich nicht? Sie kommt ganz nahe zn dem
Kind heran. Rabbi, du, der du der Meister bist,
der mit dem Blick heilt und mit dem Wort,
bist du nicht sodann eine Stufe hinaufgestiegen
und hast dir geschaffen — mit beiden Händen nach
dem Vorhang 'weisend das Geschöpf, das Geschöpf
dort drinnen — sie länft zum Vorhang, sieht ihn weg
— das Geschöpf —
25
Amina
erscheint im Tünasfchnitt. Die Kammer ist dmikel, das
Feuer erloschen.
Witwe
schreiend.
— aus Erde, aus Lehm! Und hast ihm
auf die Brust gebunden das Amulett mit dem
Namen von dem dort oben, mit dem heiligen
Namen, dem geheimen Namen, so dafs er ist
wie ein Mensch, und sich regt wie ein Mensch 1 1
Sie bricht erschöpft zusammen.
Rabbi,
ist angesprungen.
Dunkel ist der Herd, wo ist das Feuer auf
meinem Herd ?
Amina
zieht den Vorhang zu hinter sich.
In die Höhe fort das Feuert
Rabbi
Fort ? — Also ist gesagt : Eins mufs sterben.
Tritt vor die Witwe hin. Rahel, ich sprach ZU dir:
was bist du gekommen } Hör meine Rede, Pest
und Eiter ist das Gehäus, verlassen ist das Ge-
häus und die neuen Bewohner warten auf Ein-
lafs — zieh mit deinem Kind, Rahel, gut rat
ich dir, unter meinem Dach fort zieh und ver-
weil nicht länger.
26
Witwe
wirft sich nieder.
Du wirst dich entsinnen, Rabbi : mein Ehe-
gemahl, er war doch dein Freund, weil der
Reiche mit dem Weisen gehn soll in der Ge-
meinde. Er hat mir alles hinterlassen, du weifst.
Ich hab's ^ergröfsert, ich hab dazu erworben.
Rabbi, die Leute sagen, du hast den Knecht
erschaflFen, weil du arm bist, und dem kommt
seine Kraft nicht aus Speis und Trank, und
Lohn, sondern aus dem Amulett, aus dem Na-
men von dem grofsen fürchterlichen Gott, den
du ihm auf die Brust gebunden hast. — Rabbi,
alles was ich besitze, gehört dir ! Knechte und
Mägde wirst du haben, dein Kind eine Aus-
steuer, nur — auf Amina weisend, schreiend nimm
ihm fort das Amulett, leg's meinem Kind auf
die Brust 1
Rabbi,
leise.
Und wenn dir nicht umgetan wäre dein
töricht Schellenkleid von Gold und Edelstein
und allen Gütern der Welt! Ich hab dich er-
kannt! Nicht das Verlangen der Elenden und
nicht das Flehen der Verwaisten — was bist
du für ein Geist, der sich eingeschlichen hat
in das Haus?
27
Witwe
Ihm fort! Erwecke 1 Erwecke mein Kind!
Rabbi
Rahel, mein Tor hast du aufgebrochen und
mein Feuer hast du ausgeblasen ; zieh mit dem
Toten, damit ich beten soll können — für uns
beide I
Witwe
Erwecke das Tote! Erwecke das Tote!
Taube und Abigail
kommen furchtsam blickend die Treppe herunter.
Taube
läuft Zur Witwe, kniet neben «dem Kind nieder.
Blümchen ! Kalt ist dir ! Kalt sind deine
Wangen !
Witwe,
in sich zusammensinkend.
Rabbi, du hilfst Leuten, die von tausend
Meilen weit herkommen, und willst nicht einem
armen Weib helfen, das mit dir wohnt in der-
selben Gasse!
Abigail
hat ihr buntes Seidentüchlein ühers Treppengellnder ge-
worfen, ISuft auf Zehenspitzen zu Amina, spricht leise»
stampft dann zornig auf.
Ei recht, wenn sie von dir sa^en: das Tier!
Was siehst du mich an als wie ein Hund, der
28
Schläge bekam ? Sieh mir nicht so ins Gesicht,
ich will nicht ! Wer hat dir Böses getan ? Wer
darf dich beschimpfen im Haus? O, die dort?
Zur Witwe. Du ? Du warst es , die ihm Böses
getan hat?
Rabbi,
umarmt sie, drängt sie zur Treppe znrfick.
Nicht darfst du hier verweilen, mein Blut!
Ein Totes ist eingekehrt 1 Nicht mit dem Toten
dcufst du sein unterm Dach!
Witwe
wirft sich vor die Treppe hin.
Herzchen, Abigail, kennst du sie denn nim-
mer? Blümchen ist's! Hast doch oft und oft
gespielt mit ihr, beim Brunn, beim Stein 1 Hab
ich nicht ein Deinen Knecht schick
über sie!
Der erste Gelehrte
zieht die Leute um sich.
Seit wann ist es gefallen über ihn, dafs er
sich bedünkelt, grofsmächtig zu sein wie der
Fürst von Babylon? Nunrat's! Mit beiden Händen
aaf Amina zeigend. Seit er den dort hat an seinem
Herd sitzen! Nun denkt er sich: hab ich schaffen
können dies Geschöpf, kann ich auch erwecken
das Tote! Warum nicht, ich kann alles!
Der zweite
Das, das braut jetzt auf seinem Feuer drin !
39
Der erste
Nun sagt: kann der Herr über uns wollen ^
es soll einer schaffen nach seinem Ebenbild
solch ein Geschöpf? Ein Geschöpf, nicht aus
dem Stoff vom Menschen , und nicht mit der
Seele vom Menschen und das doch hat das
Aussehen bekommen von einem Menschen!
Der Rothaarige
Wer traut sich auf den Golem zu zeigen
und zu sagen: er ist ein Mensch?
Die Ghettoleute
Schtl Schtl Was schreist du? Nicht so
laut!
Der Rothaarige
Laut oder leise! Sagt es doch! So wahr
wir einen Einzigen haben, eure Köpf habt ihr
im Mondschein gesehn 1
Der Schüler
Mekassim , die Bücher werf ich euch vor
die Füfsel
Der erste Gelehrte
Wer hat Mensch gesagt? Er ist kein Mensch,,
er ist kein Tier, er ist kein Knecht und kein
Geschöpf, sondern mit den Händen zeigend er ist
die Form, und das Gehäuse, vollgeschüttet und
angefüllt von unten bis oben mit dem Rabbi
40
seiner Hochmütigkeit , seiner Hochmütigkeit 1
Er schlägt sich zurück zwischen die Leute ; alle retirieren
zum Tor.
Der Rothaarige
wirft sich auf den Boden, trommelt mit den Fäusten.
Hui, der Knebeil Würgt mich die WutI
Einen Funken vom brennenden Busch über
sie! Wofür bist du grofs wie Og und stärker
als Schimschon , wenn du bleibst in deinem
Kammerl innen, so als wärst du mit Blödheit
geschlagen auf den Kopf und nicht kannst auf-
tun dein Maul gegen die Widersacher !j
Die Ghettoleute
zerren, stofsen ihn mit Füfsen.
Den Geifer in deinen Hals zurück, du roter
Hund, Kotsack! Haut ihn, werft ihn auf die
Gasse, er beleidigt die Lehrer, er beleidigt den
Heiligen der Gemeinde!
Der Rothaarige
Ai, ai, sie hauen mich, sie stechen mich,
ich bin geschlagen, ich bin tot.
Rabbi,
aus dem Vorhang tretend.
Taub geboren sein war besser! Nichts zu
hören, nur den Tumult in der eigenen Brust
drinnen ! Weh, wenn einer ist in seiner Kammer
41
allein mit dem Geist und tritt aus seiner Kam-
mer heraus. Das Gewimmer schleppen sie mir
herein von den Krankenbetten, und das Ge-
schrei vom Markt und vom Freihof 1
Amina,
geduckt gegen die Leute los, die in heller Angst fliehen.
Die Ghcttoleute
znm Tor hinaus.
Der Golem! Der Golem über uns!
Im Räume bleiben : Der Alteste, im Halbdunkel
kaum zu sehen , und Rüben, mit verschränkten Annen
immer auf demselben Platz. Der Rabbi geht mit erhobener
Faust auf ihn zu. A m i n a hat das Tor zugeschlagen und
nähert sich mit drohendem Murren. Der Rabbi erkennt
Rüben, der den Kopf hebt, und läfst deo erhobenen Arm
gegen Amina zu niedersinken. Amina, seiner Kraft beraubt,
sinkt gleichsam in sich zusammen, und schleicht, einer Hand-
bewegung des Rabbis folgend, wie von ihr geleitet, aber
immer mit dem Blick auf Rüben, nach hinten und ver-
schwindet hinter dem Vorhang. Es dunkelt stark. —
Rabbi,
erst stockend, dann warm.
Rüben 1 Du bist's ! Gespiel meines Kindes !
Bruder der sanften Taube 1 Du bist es, Rüben I
Rüben,
zu Boden blickend.
Rabbi, du hast mich wohl erkannt.
42
Rabbi
So lafs dir küssen den Willkomm auf den
Mund, Rüben I Aber wie geschieht es : du bist
in der Heimat und Taube ging von hier und
wufste nichts zu sagen?
RuT>en
Ich hab mein Pferd in der Christenstadt
eingestellt, in der Herberg steht mein Pferd,
ich bin nicht im Elternhaus abgestiegen. Wie
ich hergekommen bin, weifs ich kaum, es hat
mich gepackt mit einem Mal und ich mufste
mich nach der Heimat aufmachen ohne Be-
sinnen. Ich hab nicht gerastet auf der Reise,
nicht bei Tag und nicht bei Nacht. Mir war
nur eins bewufst: rasch hier eintreffen, zur
Stund hier eintreffen.
Rabbi,
bewegt.
So führt es dich in meine Arme, Rüben,
zu dieser Stund!
Rüben
Ich mufs es wohl gestehn, es war mir nicht
zur Sehnsucht im Herzen, sondern gar sehr
zur Unruh. Offne Arme haben mich nicht ge-
lockt, auch hab ich die Stadt so wiedersehn
wollen, wie sie ist. Wie ich geworden bin in
43
der Zeit und wie sie geworden ist in der Zeit
Nun, ich habe die Stadt gesehn.
Rabbi
Du darfst schon in meine offenen Arme
einkehren ohne Scheu, Sohn Isails, der seiig
ist in den Gefilden 1 Umarme mich, Sohn, der
du zugedacht bist vom Willen der Väter mei-
nem Kind Abigail, das ich erzogen hab für
dichl Segnet Gesegnet, der da gekommen ist.
— Du schweigst? Hast du den guten Brauch
vergessen ? Den Spruch ? Den Segen auf den,
der sich hier befindet?
Rüben
Ich habe die Bräuche nicht vergessen, Rabbi.
Argwöhne nicht, ich wäre ungetreu worden dem
Glauben im fernen Lande — er hebt die Augen
zum Rabbi und wenn's mir auch schwer gemacht
worden ist, ich habe angekämpft und nicht bin
ich ungetreu geworden. Aber sollt ich just in
der Stunde, da ich bei dir eintrat, sprechen:
gesegnet I — ich fürchte, die Stimme würde
mir's lügen schon in der Brust drin.
Rabbi
Weil du mit jenen Armseligen hereinkamst
zu mir? Rüben, wofür leben wir im Exil?
Hillels Geduld ist nicht verschwendet an die
44
Menschen unsres Stammes, und wer da will
Ruhe haben, fürwahr, der Mann mufs aus dem
Stein gesprungen sein 1 Geduld mit der Heimat,
Rüben, und die Schwelle ist gesegnet, über die
dein Schritt gegangen ist.
Rüben,
nach dem Vorhang blickend, durch den Amina ging.
War mir damit nur fortgenommen, was ich
hereingebracht habe über diese Schwelle!
Rabbi
Und der Tag selbst ist ein Tag des Segens,
weil er dich zurückbringt, dorthin, wo du einst
bist ein Kind gewesen und wo du sollst ein
Mann sein. Darum sei auch der Tag gesegnet
und gesegnet.
Rüben
Was kann ich für dich denn heifsen, Rabbi ?
Du bist als der Grofse gepriesen in den Län-
dern und fühlst doch für mich, der ich nichts
bin, wie fLir deinesgleichen?
Rabbi
Eine gar mächtige Gewalt ist beschlossen
darin, was die Väter für ihre Kinder bestimmt
haben 1 Der lebendige Gott ist einbeschlossen
darin, Rüben, darum mufst du den guten Ge-
danken verspürt haben , den ich auf dich gc-
45
richtet hielt, damit du wissen sollst, du bist
hier der Erwartete! Das war die Unruh, die
dich hergejagt 'hat, über alle Flüsse und Berge
her, damit du bei mir eintretest zur Stunde!
Rüben
Rabbi, du lobest die Stunde, in der ich bei
dir eingetreten bin ? Und ist doch deine Stund
und nicht die meine! Die Stund, in der das
Gröfste und Gewaltigste zu dir hereingebracht
und an dich herangetreten ist!
Rabbi
Rüben, ich will zu dir sprechen wie nie ein
Vater zu seinem Sohne sprach. Rüben, vom
Herd da drin ist mir das Erkennen aufge-
flammt in diesen Stunden, und von der Schwelle
ist zu mir hereingestürmt die Versuchung
in diesen Stunden. Und ich steh da zwischen
zweien grofsmächtigen Feuern und ich seh mich
um: aber da ist kein Helfer, ich blicke hinter
mich, da seh ich, ich bin allein!
Rüben
Dann mufs dir dein Gott, Rabbi, eine schwere
Pein bedeuten!
Rabbi,
seine Hände fassend.
Sagen will ich dir's: wenn einer ist mit Gott
46
allein gelassen — ist das eine Gesellschaft für
einen Menschen ? Nun, so wenig als wie wenn
einer mit der Welt allein ist ohne Gott ! Rüben,
soll ich nicht lobsingen in der Stunde, die mir
dich zufuhrt, der meinem Freunde der Sohn
war und der meinem Kinde soll in Kraft und
Leben der Ehgemahl werden und mir der Sohn
und der Nächste durch den Willen der Väter ?
Soll ich die Stunde nicht preisen, in der ich
wieder fühle, wie ich zusammengewachsen bin
mit der Welt und nicht allein bleiben mufs mit
ihm in der Höhe, gefürchtet sei sein Antlitz!
Rüben
Rabbi, es soll mir also werden das höchste
Glück und der höchste Ruhm in Israel, dafs
ich dem Kinde Bennahums verbunden werde.
Rabbi, dessen bin ich mir wohl bewufst ; doch
sagte ich: wer bist du und wer bin ich, und
ich bin nichts. Willst du mir zuhören, eh du
den Tag segnest und die Stunde um meinet-
willen?
Rabbi
Rede, Rüben, mein Herz hört dir zu voller
Zuversicht.
Rüben
Dumpf hat es mich hergetrieben, über den
Rhein, über den Main, bis zu deiner Schwelle.
47
Oflfenbar ist mir 's geworden, seit ich hereinge-
treten bin, Rabbi : der du der Mächtige geheifeen
bist, ich ahne es: ich verstehe es so gut wie
du, wie die Macht gewonnen wird über die
Menschen alle. Hab doch selber Bücher wie
du und bin nur ein Kaufmann. Bücher mit
magischen Zahlen darin und mit Ketten darum,
an denen hängen angebunden Jud und Christ.
Rabbi, du zürnst mir?
Rabbi
Was sollt* ich zürnen, Rüben. Seh ich doch
hinter deinen Worten stehen den. klugen Meister
Gott, der die Jugend gemacht hat und die Welt
solchgestalt verwandelte vor ihr, dafs sich sehend
dünkt die Blindheit und Lachen ist auf den
Brücken. Sprich weiter, Rüben, was ist dir
für Kunde von der Macht über die Menschen
alle?
Rüben
Wie du vor mir stehst, bist du noch be-
schienen vom Feuer, das du angefacht hast
auf deinem Herd. Rabbi, versteh, wie schwer
es mir ist, dir ins Gesicht zu schauen ; wenn ich
meine Augen von dir abkehre, Rabbi, acht es
nicht als Unbotmäfsigkeit vor deinem Angesicht.
Tief atmend. Gut wdfs ich CS, Rabbi, wer die
heimlichen Orte und Mittel kennt und hält sie
48
geheim, der ist der Mächtige über allen. Rabbi,
ich hab auch nennen hören ein Kraut Balis aus
fernem Lande, womit man kann die Toten
wecken. Rabbi, ich weifs auch, es ist gut, sich
«in Wahrzeichen seiner Gewalt aufzurichten,
dafs die Menschen erinnert werden an diese Ge-
walt zu jeder Frist — und mag dies Wahrzeichen
nun die Gestalt haben von einem Berg von Gold
oder von einem Schwert aus Eisen oder aber
— er zeigt nach dem Vorhang von einem Wesen,
einem Geschöpf, wie dem, das von hier ging . . .
Rabbi
Nicht Unruh ist's, die in dir gärt, Rüben,
und auch die Jugend ist es nicht. Schlimmer
Aufruhr ist am Werke in deinem Herzen, Rüben
red nicht weiter zu mir! An die Gräber der
Eltern sollst du gehn, Ehrfurcht und Stille dir
holen, voü den Gräbern her sollen sie dir im
Ohre klingen, Erfurcht und Stille, eh du weiter
redest zu mirl
Rüben
Vorüber bin ich gekommen an den Grab-
stätten der Eltern, Den Acker hab ich nicht
erkannt. Ein Berg 1 Übereinander türmen sich
die Gräber, eng, eng, nicht viel Raum ist den
Toten gegeben zur Ruh!
49
4 Arthur Holitscher, Der Golem
Rabbi
So sind sie näher zu Gott ! So sind die Väter
im Himmel näher zu ihren Kindern, wenn sie
beten kommen I
Rüben
Auch für die Lebenden ist nicht viel Raum
zu atmen in der Stadt . . . Gitter aus Holz,
aus Eisen, Gitter habt ihr gemacht überall,
Rabbi, in deinem Haus — die Brust ist mir
wie eingemauert in deinem Haust
Rabbi
ergreift seine Hand.
Könnt ich dich denn nicht, hier, die Treppe
hinaufgeleiten zu dem Raum, der höher liegt?
Von wo du magst über die Welt blicken und
weiter als das Meer in Holland I Ist das nicht
die Stadt der Braut, wohin du zurückgekehrt
bist?
Rüben
Rabbi, so nannte ich sie auch in der Fremde,
Nicht die Stadt der Kindheit und nicht die Stadt,
wo die Eltern liegen. Die Stadt der Braut, so l
Und hab sie weiter so genannt, obzwar sie einen
grofsen Ruf gehabt hat als die Stadt des mäch-
tigen Rabbi, als deine Stadt, deine! Und was
könnte mir für ein gröfseres Gut beschieden
50
sein, als dein Kind zu freien wie ein still züch-
tig Wesen, von dem kein Aufhebens ist?
Dennoch, Rabbi, dennoch : tausendmal lieber
hätte ich die Stadt nennen gehört die Stadt der
schönen Abigail, als so, wie ich sie zuletzt hab
nennen hören — Stadt des Golems 1 Und nicht
hab ich fürder denken können an die Stadt der
Kindheit und nicht an die Stadt der Liebe, nur
an Golems Stadt, an die Stadt der Rechen-
schaft!
Rabbi
Die Rechenschaft — gern will ich sie dir
geben, mein Sohn! Sind doch die schonen
Märchen die Rechenschaft so man den Kindern
gibt. Willst du sie hören wieder alle, von-4<w^
Glock Lamuz, die gereist ist ins Land, wo der
Sabbat anfangt ? Und von Methusalachs golde-
ner Pfanne mit dem heiligen Manna darin?
Rüben
nacb dem Tor weisend.
Gut genug müfsten dir deine Märchen sein,
um die dort hereinzulocken und hinauszuscheu-
chen, die du verachtest 1 Aber ich, wenn ich
der Erwartete bin, was soll mir dein Märchen?
Furcht mich nicht im Dunkeln!
Rabbi
Erzählen werd ich von den Vorfahren im
51
Lande der Sklaverei, wie sie den Ton geknetet
haben und gestampft den Lehm zu Pithom und
Rhaamses flir die Bauwerke, und wenn die
Aufseher geschlafen haben im warmen Sand,
wie da die Sklaven sind beisammen gehockt
und haben sich insgeheim erzählt von Be-
freiung und Recht, und haben sich Gebilde
gemacht von Lehm, von demselben Lehm, und
die Gebilde sind lebendig geworden von ihrem
Zorn und Leid und haben nun gemufst dienen
den Sklaven als wie Sklaven!
Rüben
Rabbi, uns hat man es nicht erlaubt, dafs
wir bei den Festen tanzen mit den Mädchen,
weil es hiefs : Hand bei Hand bleibt nicht rein I
Und wir waren doch Kinder, und nicht gröfser
als so! Und jetzo — hab ich ihn gesehn, den
Golem, im selben Haus lebt er mit ihr, die
mir versprochen ist — Rabbi, wie weifst du es,
ob nicht der böse Trieb plötzlich da ist zwischen
ihnen ?
Rabbi
Ist noch nicht zu Ende mein Märchen, denn
es heifst : die Gebilde sind hingegangen zu den
Töchtern, tapp und klebrig der Lehm von den
Föfsen auf dem lehmigen Boden — aber die
52
Töchter haben gemerkt, dafs kalt sind die Hände
und kein Glanz ist in den Augen, und wenn
sie nach den Armen der Gebilde geschlagen
haben, so sind die Arme abgebrochen jwie Lehm,
und aus den Gezeiten, wo die Töchter waren,
da kam Lachen her und es mag geschehn, die
Amme, wenn sie so weit ist im Märchen, so
hält sie ein und lacht auch über ihr eigen Mär-
chen . . .
Rüben
Ich will dir kein Märchen erzählen, Rabbi,
und zur Braut werd ich dir nicht folgen, eh
du mir Red und Antwort stehst! Rabbi, voU
ist das Land von solcher stumpfen halbver-
blödeten Bauernbrut, jetzt nach dem langen
Krieg, im Strafsengraben gezeuget zwischen
verwesten Leichen; haben solch Aussehn wie
Menschen, doch das Tierische ist dreimal stark
in ihnen ; wissen nicht, was sie sein noch wan-
nen sie kommen, gleichen Rätseln in Menschen-
gestalt, laufen zu, sind plötzlich da und niemand
hat sie kommen sehn — und der da drin, den
sie den Golem nennen, und den du im Hause
hast mit deinem Kind allein. —
Rabbi
Um mein Kind soll dir nicht bang sein!
53
Ist meiner Macht so grofs Rühmens, was ver-
möchte ich es nicht zu wirken durch meine
Macht, dafs aus der Hure eine Jungfrau werde,
damit sie. züchtig und keusch ins Bett gehe
dem Bräutigam?
Rüben
Rabbi, welchen Schimpf treibst du hier?
Dein Kind, und ich selber, was sind wir dir,
dafs du deinen Schimpf hast mit uns ? Achtest
du so des Menschen, Rabbi, und was ihm wert
ist? Geht doch die Kunde, du habest einen
Menschen geschaffen, aus Erde, aus Lehm, aus
dem Nichts — so schufst du ihn, nicht, dafs
er an seinem Menschensinn Lust habe, sondern
dir zum Spiel hast du ihn geschaffen? Rabbi
— schier könnt ich Mitleid verspüren mit dei-
nem Grolem — weil ich fühle, was du mir antust!
Rabbi
Steht dir schlecht an, sein Fürsprech zu
sein I Vor mir reckst du dich in die Höhe und
hast den Blick aufgehoben und siehst doch dein
eitel Mafs nurl Selber — selber bist du ge-
ringer als ein Golem, wenn in dir Luft ist und
nicht der Odeml
Rüben,
sich überstürzend.
Hast du ihn geschaffen, deinen Golem —
54
so schufst du ihn dir zum Spiel und Eigen-
willen — nicht sich selber, nicht sich selber
zu Lust und zu Frommen ! Rabbi — die Angst
um dein Kind hat mich hergetrieben I Rabbi
— zu deinem Kind will ich —
Rabbi,
abgewandt, schwer.
Versinkt unter mir alles , worauf ich mich
will stützen — wird klein und entschwindet
unter mir alles — wahrlich, wenn ich hinunter-
schreie aus der Angst meines Herzens , so
wird's nicht gehört, und mein Geschrei kommt
mir zurückgestofsen in den Mund ! Zu Raben.
Aber wenn's mein Schicksal ist, dafs ich soll
allein stehn bleiben in meiner Einsamkeit, wo
ich stehe — mein Blut werdet ihr nicht hin-
unterzerren zu euch!
Rüben,
vor der Treppe.
Dein Golem — dein Golem bleibt ja mit
dir!
Rabbi
Zu meinem Blut nicht! Zu meinem Kind
keinen Schritt ! Er yerstellt ihm den Weg. Nicht ist
es der Wille, dafe die Weinrebe soll an den
Dornenstrauch angebunden sein! Die Ketten
55
des Versprechens zerreifsen wie Strohfesseln,
von einem Wort, das ich ausspreche —
Rüben
blickt hinauf.
Von Abigail — ein Wort hören, von Abigail
ein Wortl
Rabbi
Aber ich will es nicht sprechen, me^ Wort,
denn deine Fü&e würden dir wie Lehm auf
Lehm, und die Arme würden dir abbrechen
von deinem Leib — in Frieden das Geschöpf
mit seinem Schöpfer I Er eigieift Rvbent Am nnd
itolst ihn gegen das Tor. — Draufisen eiJen Fackeln kreni
nnd quer über den Fiats, man sieht einen undeutlichen
Schimmer an der Fensterbank sich bewegen. iCehr zu-
rück den Weg, wo du dich verloren hast. Gib
acht, deine Seele soll hier nicht zurückfinden
über die Schwelle, als der Geist aus dem Rück-
grat geboren, das sich nicht hat beugen wollen!
Wie dort draufsen die Fackeln, sollst du suchen
und rennen im Finstern. Wahrhaftig, ich hab
dich gerufen, aber jetzt bist du mir entschwun-
den, ich seh dich nicht mehr ! Er gibt ihn frei.
Rüben
Abigail !
Rabbi
stampft auf den Boden.
56
Amina
encheint vor dem Vorhang.
Eine Fackel hnscbt an dem Fenster Torbei, verweilt einen
Augenblick. Rabbi mit leisem Ausruf näher.
Der Älteste der Gemeinde,
von der Bank im Dunkel ; er ist aufgeschrocken, erhebt sich.
Das Licht — das Licht zu hell über mirl
Rabbi
Mardoch, Ehrwürdiger, in meinem Hause
bist du?
Ältester
Grofser Rabbi, verzeih, müd bin ich ge-
worden, verzeih dem ältesten Mann in der Ge-
meinde, wenn er sich hat verträumt in deinem
HausI Ein Licht hat mich aufgeweckt, ein
Licht! Einen Traum hab ich geträumt in deinem
Haus, Rabbi!
Rabbi
Wie bist du in mein Haus gekommen. Ehr-
würdiger ?
Ältester
O, nenne mich nicht so, du Held Gottes,
dem alle preisenden Namen gebühren. Ich bin
oft und oft gekommen in dein Haus, mit den
Krüppeln, als der letzte von den Krüppeln, imd
mit denen, die gekommen sind, das Wort zu
hören, auch als der letzte. Kniet nieder.
57
Rabbi
Mardoch, was tust du mir an!
Ältester
Rabbi, mein Körper ist morsch vom Alter
und meine Seele ist morsch von den Zweifeln,
aber ich bin dageblieben um Eines willen,
welches gewaltiger ist als aller Schmerz und
die ganze Wahrheit zusammengenommen. In
vielen Häusern sitz ich da, unbemerkt, wenn
die Dämmerung kommt! Rabbi, ein Totes
haben sie gebracht zu dir, und wenn du könn-
test vollbringen, worum sie dich bitten, warum
dann sollte dir nicht gelingen das Letzte?
Rabbi
Ehrwürdiger, gibt es denn noch ein Letztes
nach dem?
Ältester
Das Letzte, das Gröfste: dafs du bei der
Hand nehmen möchtest dieses tote Volk und
möchtest sagen zu diesem Volk : nun wandle I
Bennahum , warum solltest du nicht sein der,
auf den wir warten alle, so wir sind zerstreut
über das Erdenrund? Für dessen Kommen die
Gesänge werden gesungen an den Festest^en ?
Der dieses Volk wird bei der Hand nehmen
und führen zurück an den teuren, heiligen Ort l
58
Rabbi
Mardoch — ich soll es sein, der das Volk
nimmt und führt, ich schwacher Mensch allein?
Ältester
Rabbi, eine mächtige Hand hab ich erblickt
im Traum über deinem Haus; eine Hand aus
Feuer, eine feurige Wolke, eine Hand, wie ich
nie eine gesehen hab im Wachen!
Rabbi
Wenige sehen sie im Wachen, den Gerechten
nur erscheint sie im Traum.
Ältester
Rabbi, du bist hoch genug in deinem Herzen,
da{s du sie erfassen kannst und halten in deiner
wie eine Freundeshand?
Rabbi
Hoch genug bin ich! Bin ich nicht hoch
genug noch dazu emporgestofsen worden , in
die Höhe? Allein genug steh ich, da, wo ich
steh, ist doch keine andre Hand, die ich fassen
kann mit meinen Händen!
Ältester
Heiliger, der Herr wird dir Kraft verleihen.
Das Kind wirst du erwecken, das Tote wirst
du erwecken, damit du das Volk dann er-
59
weckest! Heiliger, wirst du gehn in das Gottes-
haus, wo darf ausgesprochen werden der Name,
der dreimal gefürchtete?
Ra-bbi
Ich werde hingehn in das Gotteshaus, Mar-
doch.
Ältester
Die Teppiche werde ich aus den Häusern
schleppen, deine Füfee sollen nicht berühren
den Unrat auf der Gasse! Und du wirst die
Hand erfassen, die mächtige, im Feuer!
Rabbi
Ich werde hinauf langen nach ihr, mit mei-
nen Händen !
Ältester
Und in dich wird die Kraft einkehren!
Rabbi
Ich werde ihr die Kraft aus den Fingern
nehmen.
Ältester
Und du wirst den Namen aussprechen I
Rabbi
Er ist mir kund.
Ältester
Und du wirst gehn in das Haus Raheis und
das Tote aufwecken!
60
Rabbi
Steh vor dem Haus , damit du mich ein-
treten siehst.
Ältester,
versucht sich an seinem Stabe aufzurichten.
Ich alter Mann werde vielleicht noch er-
blicken die teure, heilige Stadt im Osten!
Rüben,
will ihm helfen, springt herbei.
Rabbi
Aus dem Wege, den das Alter geht und
die Andacht 1 Fort, sag ich!
Amina
kommt heran, auf seine Schulter gestützt, geht der Älteste
ans Tor.
Rüben
So mufs ich gehen aus dem Haus der
Braut, Rabbi.?
Rabbi,
mit der Handbewegang, die er gegen Ruhen au^hrte, ehe
er ihn erkannte.
Wie du kamst, war es das Haus der Braut
für dich, jetzt ist es Bennahums Haus!
Altester,
schon Ton der Gasse her.
Einen schönen Traum hab ich geträumt in
6i
deinem Haus, Rabbi ! Ab, mit Amina, und von Rnben
gefolgt. Fackeln nmxingen de, geben ihnen langsam das
Geleit durch die Gasse. — Es ist finster.
Rabbi,
einen Moment verweilt er wie erstarrt. Dann raschen
Schrittes zum Gestühl. Er vetsucht Feuer zn schlagen, aber
der Stein entfällt seiner Hand; er bricht fichzend cnsammen,
die Stirn auf dem Folianten, dessen Ketten klirren.
Amina
kommt zurück. Legt den Querbalken ins Tor, schiebt die
Riegel vor, verschliefst die Fensterläden, verweilt dann
in geduckter Haltung vor dem Vorhang rechts vom, der
ganz zurückgezogen ist und hinter dem man die dunkle
Kammer erblickt.
Rabbi
richtet sich auf.
Nacht ist ! Besteil das Licht und das Feuer !
Aminas
Bewegungen haben plötzlich Macht und Sicherheit gewonnen.
Er schlägt licht, steckt den Leuchter auf dem Gestühl an,
bricht die riesigen Scheite im Kamin wie Reisig auseinander,
trägt Stucke davon in die Kammer, k<Hnmt und geht mit
grofsen Schritten.
- Rabbi
im Gestühl. Erst stockend, dann kräftig.
Ich soll hinauflangen nach deiner Hand»
Mein Atem gehört mir, so hoch ich bin. Und
du wirst mich in die Höhe ziehn, wo noch kein
62
Mensch gestanden ist vor mir. Er schlägt auf das
offene Buch. Wie du mir mein Weib weggerissen
hast, hab ich dich in der Gewalt gehabt zu der
Stund? Wie ich das Geschöpf dort hab auf-
stehn lassen an der Flanke von meinem Herd,
hab ich dich in meiner Gewalt gehabt zu der
Stund? Der du gesetzt bist über die Toten,
Engel des Todes I Die FUmmen der Kersen wehen
wie von starkem Wind bewegt. In deiner Nähe bin
ich ! In deiner Näh ist der Herr des Namens !
Er steht auf. Steht geschrieben vom Anbeginn :
Der Herr des Namens oder der Knecht des
Todes 1 Ich oder du ! Und wenn meine Hände
mir abbrennen von den Armen, und meine
Arme vom Leib, hinauf werd ich langen, die
Hand werd ich fassen. Einer von uns. Ich
oder du ! Die sieben Kerzenflammen der Menorah schlagen
zu gewaltiger Höhe auf, sinken aber gleich wieder.
Amina
läfst das Holz fallen und fUlt nieder, wie umgestofsen.
Rabbi Jk
zwischen dem Buch und der Lehne des Gestühls vorwärts
imd zurück geschüttelt, wirft das Haupt zurück, wie in höch-
ster Anstrengung:
Ich oder dul
Vorhang.
63
i
Zweiter Aufzug
Der nächste Morgen. — Blendendes Sonnenlicht (iUt durch
die Scheiben.
Amina
sitEt auf der Bank vor dem Kamin, seine Hände spielen
mechanisch mit einem Span verbrannten Holzes.
Abigail
kommt langsam, über das Creländer lugend, die Treppe herab.
Vater I Vater! — O, du bist hier.? Bist
allein, sag? Wo ist er, wo ist der Vater.?
Amina
Im Finstern , in der Nacht hinaus in die
Gasse, der Vater.
Abigail
Und ist noch nicht heimgekehrt?
Amina
Das Haus hüt ich, das Tor hüt ich, bis er
kommt. Hat so befohlen der Vater.
Abigail
Der Vater, der Vater ! Du sollst sagen der
Meister, der Rabbi! Für dich ist sein Name
der Meister, der Herr! Sind wir Geschwister
zueinander, dafe du sagst: der Vater? Sie hebt
seinen Kopf mit zwei Händen anf; milde. Du hast ge-
wacht all die Zeit? Deine Augen, sieh mich an,
64
ist kein Schlaf über deine Augen gekommen?
Xäfst ihn frei. Ach, deine Augen, als ob sie je-
mals wach wären t Geht paar Schritte nach Unki .
War schon spät in der Nacht, wie ich hab
Schlaf bekommen, aber süfs, süfs. Hab nicht
das Tor gehen gehört, hab nicht gehört, einer
geht und einer bleibt. Was horchst du in die
Luft? Hörst du ihn kommen? Kommt er zu-
rück?
Amina
hebt die Hand.
Klingt es in der Luft oben !
Abigail
Pfui, was hast du zwischen deinen Fingern?
Ein Stück verbranntes Holzl Schlagt mit ihrem
Tüchlein nach Aminas Hand, ein Streifen reifst ab, wie sie
es zurückzieht. Mein Tüchlein I Hast mir mein
gut Tüchlein zerrissen mit deinen Fingern aus
Eisen I
Man hört Musik näher kommen. Es wird ans Fenster ge-
pocht. — AbigaU läuft hin und öffiiet es, indem sie auf
die Fensterbank kniet. — Drei Mädchen, zwei Jüng-
linge, Moschitzig, der Narr, in buntem Fetienflaus, und
die Jndenmusi kanten, swei Flötenbläser, ein Geiger,
stehn vor dem Fenster. — Die Musik bricht ab, die Mäd-
chen beugen sich, sich umschlungen haltend, zum Fenster
herein.
Die Mädchen
Abigail, zu dir kommen wirl
5 Arthur Holitscher, Der Golem
65
Abigail
Was wollt ihr hier?
Die Mädchen
Sollst mit uns kommen 1 Komm mit zum
Baum ! Der Baum bei der Mauer , der Baum
blüht!
Abigail
Was ist denn heut, Festtag? Dafs ihr so
geputzt daherkommt?
Die Jünglinge,
im Hintergrund.
Geht weg vom Fenster, wifst doch, wie sich
ziert das Jungfräulein I Meise, komm! Seid ihr
doch alle zu gering 1
Moschitzig
Festtag, Festtag, gewaltig I
Abigail
BchULgt nach ihm.
Narr, was ist in dich gefahren? Was springst
du nicht, was tanzest du nicht?
Die Mädchen
Nicht ihn schlagen heutl
Moschitzig
steckt den Kopf und Oberkörper herein.
Mufs nit springen heut Moschitzig, mufs nit
66
tanzen heut Moschitzig, mufs nit Zähneknirschen
und nit Schläge einstecken, nur darf auf Kanun
blasen, aber ist kein Bufstag nit heut, sondern
gewaltig, gewaltig!
Die Mädchen
Weifet denn von nichts, du? Keine Arbeit
wird verriebt in der Gasse heut, haben alle die
Hände im Schofe und stehn vor dem Gottes-
haus I Den Kindern — den Kindern hat man
den Mund verstopft mit Kuchen, kein Laut darf
sich rühren um das Gotteshaus herum! Teppiche
liegen auf der Gasse, bis zum Haus von Rahel,
von der Witwe, bis zum Haus, wo das Tote
liegt und wartet!
Abigail
Ist mein Vater, um den ihr alle seid wie
an einem Fest!
Die Jünglinge
Weifs nichts der Baum vom Rabbi, fragt
nicht nach dem Rabbi, der BaumI Hat seine
Blüten all von sich selbst! Meise, Behla, kommt,
Lia, für wen blüht*s am Baum? Die Miuikanteii
itimmen ihre Instrumente.
Moschitzig
Steht da im Totenhemd der Grofse und
bückt sich, und bückt sich nach Osten, so!
67
5*
Hat angezogen ein lang Laken, ein Leichen-
leiiichy der (Srofse I Aber wir ! Werden wir da-
stehn in Silber und Grold, von der Mutz her-
unter bis zu den Schuhen! Werd ich trs^^
ein gülden Kleid, wenn er zurück uns fuhrt
nach Jeruschalem, nach der Stadt! Werd ich
tragen ein Kleid bis zu den Schuhen, einen
grofsen gelben Ring werd ich tragen da auf
meinem Kleid, all von Gold und Diamant ge-
macht! Keine Schläge mehr zum Leben! Sitzen
werd ich auf dem Wagen, wenn er zurück uns
führt nach Jeruschalem ! Werd ich sein wie ein
König !
Die Jünglinge
im Weiteniehn.
Ein Narr bist ! Ein Narr bist ! Die Musikan-
ten spielen ein frisches Lied. Für Wen blüht's am
Baum? Für uns.
Die Mädchen
zur Musik singend.
Ein Tag, ein Tag wie Samt und Seiden !
Die Jünglinge
ihnen nach, singen.
Ein Tag wie Samt und Seiden ! Nun spring
und lauf und such dein Ripp.
68
Die Mädchen
ebenso.
Und sag, du magst mich leiden!
Abigail
geht fa Amina.
Die mit ihrem Christenliedl !
Ein Mädchen
zum Feniter surück.
So komm, Abigail, komm schnell! Hut
doch der Knecht das Haus derweilel
Ein Jüngling
neben ihr.
Sie mufe er doch hüten ! Dafs sie dem Bräuti-
gam bewahrt die Treu! He, Milchbart du!
Schlacker! Sie lachen.
Abigail
stnrzt snm Fenster, preist die Flügel mit beiden Händen su.
Ihr mir aus den Augen! Lauft euch die
Narrenschuh entzwei! Wendet sich zu Amins, beifst
an ihrem Tüchlein. Was hast du sie nicht davon-
gejg^? Hast doch gehört, wie sie dich ge-
höhnt haben?
Amina
Hab gehört.
Abigail
Wofür denn hast du die Kraft in ddnen
69
Fäusten, wenn du's nicht zeigst ? Zum Dienen ?
Immer nur zum Dienen und Dienen? Näher m
ihm. Hast keine Lust, hinauszugehn unter den
Himmel? Dich vergnügen? Den Vater will
ich bitten darum, er soll es dir gewähren ! Nie
lachen. Nie singen. Nie Freude fühlen. Nur
dienen, dienen, immerzu!
Amina
Ja.
Abigail
Nun, so dien mir. Hörst du ? Das Fenster
aufspreiten, dafs die Sonne hereinkann. Rühr
dichl Soll ich die Peitsche holen?
Amina
zum Fenster.
Abigail
eilt ihm nach, hSlt das Fenster zu.
Nein, ich will nicht 1 Wendet sich, legt die Arme
hinter den Kopf. Nicht soll*s offen stehn, das Fen-
ster! Kommt zu starker Duft herein. Schon
ist voll davon das ganze Haus, die weite Wiese
hinter der Mauer ist all herinnen, oder ist mein
Haar, was so stark duftet ? Löst ihr Ilaar, geht zu
Amin«, geheimtuend, mit kindischer Schlauheit. Taube,
Taube, weifst? Taube, sie giefst sich voll ihr
Haar mit kostbarem Ol, gewifs, jetzt hat er
70
ihr welches mitgebracht aus Holland, der Bruder,
feines Öl das gut riecht, gewifs ! Mein Haar,
mein Haar hat doch süfseren Duft. Schwenkt
-es vor Aminai Gesicht. Fühl's, wie es duftet ! Geht
zum Gestühl, lehnt sich davor. O ich weils, weifs
gut, auf den Vater hat sie's abgesehn, als sein
Weib möchte sie bei ihm sein, oder seine Magd,
ich weifs ! Wie nur kann man solch alten Mann
liebhaben im Herzen?
Amina
Schön und hoch der Vater I Mächtiger Rabbi I
Du Grofser! im Tonfall die Krüppel nachahmend.
Abigail
Runzelig ist sein Hals, sein Bart ist trocken
und sein Atem und sein Gewand riechen gleich.
Möchtest du ein alt Weib freien zur Ehe ? Ant-
worte mir ! Ach, am Freitagabend, oben hinterm
Gitter im heiligen Gotteshaus, wo die Frauen
sitzen, da hör ich wie sie singen unten : wollen
gehn — der Braut entgegen ! Die Männer sind
es, ich mach die Augen zu, da kommen all
die Stimmen und legen sich — über michl
Schön ist der Gesang!
Amina
Ins heilige Haus — ich bin niemals gekom-
men.
71
Abigail
kauert vor ihm nieder.
Darum ist so traurig dein Leben ! Weil du
ihn nicht kennst, unsern Gott ! Und der Vater
— jetzt steht er doch vor ihm, jetzt steht er
doch vor Gott in dem heiligen Haus — wie
traut er sich, dazustehn und ihn anzuschaun
oben, wo er dir hat solches angetan, dafs du
nicht kennst unsern Gott. Greh hinl Drang
dich zu ihm hinein, sag ihm: wie traust du dich,
du — vor deinem Gott zu stehn I Wariun gehst
du nicht?
Amina
Grofse Flammen waren in der Nacht, er hebt
die Hfinde mit gespreizten Fingern grofse Flammen t
Und der Vater hat zu jemand gesprochen : Ich
oder du! Ich oder dul
Abigail
Zu dir hat er gesprochen?
Amina
schüttelt den Kopf.
Nein, aber er hat gezittert, wie er hinaus
ist, aus dem Tor, der Vater 1
Abigail
Ich werde vor ihn treten und sagen werde
ich ihm: diesen hier, warum läfst du ihn in
der Traurigkeit? Nehmen sollst du ihn und
hinführen vor unsern Gott, damit auf einmal
weggenommen ist von ihm, was so schwer auf
ihm drückt, so dafs er nicht sein kann wie die
anderen, so frei und so heiter und wie die
Menschen sindl Zu Amina. Sag mir, du willst I
Sag, du willst unsern Gottl
Amina
nestelt lein Wams auf, zieht das blutrote Pergameot hervor,
das an einer Schnur an seinem Halse hfingt, fuhrt es an die
Lippen.
Ewig, ewig,
Abigail
rockt Ton ihm fort, erschauernd und gebannt.
Ein Blutfleck I Wie ein Blutfleck ist es vor
deiner Brust I Wie wenn all das Blut, was ein
Mensch hat, wäre drin zusammengeronnen in
Eins! Du, deine Lippen I Verbrenne sie nicht!
Heifs ! Und wie deine Brust ist — so wie Eis
hab ich's gefühlt mir ins Gesicht kommen von
dir, wie im Winter, eisig I So breit, und stark,
und weüs I SchUefst die Augen. Und wenn ich die
Augen zu habe, ich seh's noch, blutrot, und
weifs, und stark . • .
Amina
prefst das Amulett zurück, rafit das Wams snsammen.
Nicht!
73
Abigail
kommt n2her.
Was denn, nicht!
Amina
Deine Augen nicht auf meiner Brust!
Abigail
Bist du sittsam? Du! Du Starker, du Feiger!
Sieh her, so feig wie du bin ich nicht, und bin
doch ein Mädchen nur! Hab meine Brust ge-
zeigt heute nacht den Sternen, hab an meinem
Fenster gestanden und der Mond war neu —
und nicht der Mond und die Sterne allein haben
meine weifsen Brüste gesehn — auf der Gasse
war einer, der hat dagestanden im Finstern und
hat hinaufgeschaut zu dem Leuchten lie lacht
von den Sternen!
Amina
Rüben.
Abigail,
erschrocken.
O, woher weifst du's? Du, nicht dem Vater
sagen! Hast du ihn gesehn? Nicht? Woher
weifst du's dann, dafs er es war, vor dem
Haus? Ich hab ihn gleich erkannt. Brauchte
nur hinab zu schauen. Hab auch gleich ge-
wufst, weshalb er in die Stadt zurück, in die
74
Gasse zurück ist gekommen! Und Taube —
Taube, sie denkt bei sich : wenn ich mit ihrem
Bruder zieh, dann bleibt der Vater allein und
sie . . .
Amina
Niemals.
Wasl
Abigail
Amina
Niemals allein, der Vater. Niemals werde
ich fort — vom Vater.
Abigail
Niemals? Und wenn dir eine gefallt? Und
nimmst sie zum Weib?
Amina
Niemals vom Vater fort.
Abigail
Auch nicht, wenn ich zu dir spreche: mit
dir, mit dir will ich ziehn, dir folgen will ich,
wohin du gehst, dein will ich I
Amina
Niemals vom Vater fort.
Abigail
Auch nicht, wenn ich zu dir spreche, merke
wohl, höre wohl: ich will tot sein eher, als
dafs ich mit einem andern zieh als mit dir!
75
Ich will tot sein, wenn du nicht mit mir ziehst^
ich will tot sein, ich will tot sein! Antbrediend.
Was siehst so vor dich hin? Weifst du den
Sinn nicht? In deinem dumpfen Hirn weifet
du nichts von Lust und nichts von Tod? Weifst
du nicht, was tot sein heifst?
Amina
Vom Vater — fort.
Abigail,
nach einer Panie.
Fort — von allen, allen fort 1 Leise hinauf
die Treppe, bleiben unten alle zurück und aus
dem Fenster heraus beug ich mich, dunkel ist's
droben und keiner schaut mehr hinauf zu mir
— alle sind fort! AufochreicncL Der Vater soll
zurück kommen! Sie klammert sich an Amina, be-
ruhigt sich. Nein, der Vater nicht, wenn du nur^
Amina, wenn du nur bei mir bleibst! — Sag^
dafs du bei mir bleiben willst!
Amina,
seine Angen blicken ins Leere, seine Hände sind auf der
Brost verkrampft.
Abigail
läfst von ihm, betrachtet ihn stnmm, wiegt schwer den Kopf»
Ein leises Tasten an den Fensterflügeln, sie werden anf-
gestofsoi.
76
Rüben
schwingt sich über den Fentterbord herein.
Abig ail
läuft auf ihn za, mit knrzem Aufschrei, stampft anf den
fioden.
Nein !
Rüben,
mit bittend vor sich gestreckten Händen.
Niemand, niemand hat es gesehn, leer ist
die Gasse weit und breit ! Ist mir ja verwehrt
das Tor, versucht «u lachen, aber wer ist der Dieb,
die Maus oder der Spalt, durch den sie herein-
gekrochen ist?
Abigail
2u Amina, vor Wut schluchsend, indem sie sich das. Haar
aufsteckt.
Du I Büfsen sollst du mir das !
Amina
sur Bank am Kamin; während des Folgenden leben seine
Blicke allein an ihm.
Rüben
Abigail, gut weils ich es, ich spiel mit meinem
Leben, vielleicht ist mein Leben schon verwirkt!
Die Kraft von dem Rabbi ist doch lebendig
in ihm und ich hab mich aufgelehnt gegen den
Rabbi 1 Sag ihm, befiel ihm, mit einem Faust-
schlag hat er mich niedergeschlagen. Wenn
77
du mir jetzt auch verwehrst, dafs ich zu dir
herein darf kommen, Abigail, was ist mir dann
alles, was hab ich dann noch zu suchen in der
Welt; dann kannst du ihm befehlen, er soll
mich zerschlagen.
Abigail,
noch immer zu Amlna.
Befehlen ! Und verspräche ihm einer Flan-
dern und Brabant! Ein Tumimix, weifs von
nichts Bösem!
Rüben
KlilSgt lieh an die Brust.
Hör auf mich, Abigail, um dich hab ich
mich aufgelehnt gegen den Rabbi, aus grofeer
Angst um dich war mir mein Ungebühr und
mein Frevel gegen den Rabbi. Aber ich will
vor den Rabbi hintreten zum andemmal und
will sprechen: Sieh her, zerschlagen ist meine
harte Stirn und gebogen mein störrisch Rück-
grat, ich hab gedacht beim Kommen in die
Heimat zurück, ich komme als ein Wissender,
aber heut nacht sind mir die Schuppen gefallen
von meinen verblendeten Augen ! Abigail, heut
nacht I
Abigail
Ins Gotteshaus hast du dich eingeschlichen f
Den Vater hast du belauscht bei seinem Werk?
78
Rüben
Was fragst du so? Hast du mich denn
nicht erblickt unter deinem Fenster? Wie ich
im Dunkel dagestanden hab unter deinem Fen-
ster, heute nacht?
Abigail
Hab dich nicht erblickt.
Rüben
Kein Licht hat gebrannt oben, und ich hab
doch ein Licht flackern gesehn in deinem Aug
und hab das dunkle Ghetto wiedererkannt in
deinem dunkeln Aug und es war nicht mehr
abstoisend und häfslich, sondern geheimnisvoll
und tief zugleich, und ich hab mich verirrt und
wufst nicht aus und ein — dann ist der Rabbi
aus dem Haus gekommen und in grofser Hast
an mir vorbei — was hab ich getan ? In eine
finstre Eck hab ich mich gedrückt und hab
den finstem schmutzigen Stein gekiüfst zur Ab-
bitte und der Stein ist feucht geworden und
war ehe schon moderig und alt.
Abigail
Und wenn ich herabgesehn hätte zu dir?
Rüben
In deinem Blick ist die Macht von dem Blick
deines Vaters, womit er zaubern kann. Viel-
79
leicht wäre ich gelaufen, bis ich vor seine
Schritte gekommen wäre und hätte mich nieder-
geworfen auf den Weg vor ihn und hinaufge-
schrien zu ihm : tret auf mich, was bin ich, ein
Nichts, dafs ich hab scheel gesprochen von
einer Stadt und dafs ich hab gedacht zu lassen
von einem Stamm, der solch ein Mädchen hatl
Abigail
Und wenn ich mich hinausgebeugt hätte,
und wenn ich hinuntergeflüstert hätte zu dir?
Rüben
Wer weifs, an dem Tor hätt ich gerüttelt
bis es aufgesprungen wäre trotz Eisenricgel
und trotz Verbot!
Abigail
Aber dann hättest du vielleicht auf Amina zei-
gend diesen dort vor meiner Kammertür gefun-
den?
Rüben
In der Fremde hab ich mir das Herz ab-
gefressen vor Gram darüber, weil er im Hause"
ist mit dir, aber jetzt, da ich den Zauber vom
Rabbi an mir verspürt habe, was ist mir nun
das Geschöpf, was ist mir das Geschöpf, das
er geschaffen hat, was ist mir der Golem!
80
Abigail
Ja, magst recht haben. Hast ihn ja gesehn,
wie er stumm und ohne sich zu rühren dabei
stand, als du hereingesprungen bist zu mir.
Brauchst keine Angst zu haben, ist ja kein
Licht in dem dumpfen Gehirn von dem Knecht
dort, den sie den Golem heilsen, den Golem!
Rüben
Du stöist mich nicht weg von dir, Abigail,
du duldest es, dafs ich bei dir bin! Wo ich
doch wie ein Dieb hereingeschlichen gekommen
bin?
Abigail,
dicht vor Amina.
Wenn du ein Dieb geworden bist um meinet-
willen, so raub mich doch, raub mich doch!
Rüben,
ernst
Nein, wenn ich auch wie ein Dieb gekom-
men bin, so bin ich doch kein Dieb in meinem
Herzen. Denk, wo ich gestern war, als du dein
Fenster droben zugeschlossen hast und ich dich
nimmer sehn konnte droben — auf dem Gottes-
acker war ich, bei Vater und Mutter und hab
gesagt zu ihnen Vater und hab Mutter gesagt,
so als ob ich's zum ersten Mal sagte in meinem
Leben.
8i
6 Arthur Holitscher, Der Golem
Abigail,
wie oben.
Der Vater und die Mutter, sie haben mich
dir zugesprochen, dir gehör ich ja, brauchst
mich doch nur zu nehmen, bin dein Eigentum 1
Rüben
fahrt lie leite xur Feniterbank, wo sie sich setzen.
Und wie ich von den Gräbern hab aufge-
blickt zum Himmel, da sah ich, der Mond war
neu, da hab ich mich erinnert, wie es heifst
bei unserm Volk : es gelingt dir, was du unter-
nehmen willst. Und ich hab mir's zugeschwo-
ren , mir und den Steinen : zu dir zu gehn I
Und nun sind wir beisammen, wie wir's waren
als Kinder, in der Ecke, auf der Bank, allein 1
Abigail,
▼on ihm fortruckend ; das erste Wort laut, das übrige ge-
halten, wie lauernd.
Allein — ja, red zu mir, als wären wir
allein! Red zu mir, ist doch nichts zwischen
uns geraten und keiner, all die Zeit, seit wir
Kinder waren. Rede, rede doch zu mir!
Rüben
Nicht reden. Anschauen möcht ich dich
nur, immerfort. Suis ist, dich anzuschauen,
wie an Honig schmecken. Seine Hand streicht leise
8j2
an ihr hexab. Dein grün Samtkleid, wo hast du's,
das du immer angehabt?
Abigail
Mein grün Samtkleid, was fragst du danach ?
Rüben
So hab ich dich gesehn, immer, wenn ich
allein war!
Abi.gail
Alt Wiebe hat mein grün Samtkleid be-
kommen; vor der Altschul kannst sie sitzen
sehn, es war nit mehr viel heil daran, hat sich
eine Haube gemacht daraus.
Rüben
lacht.
Eine Haube hat sie sich gemacht!
Abigail,
näher za ihm.
Sind schön die flandrischen Mädchen ? Sind
schön angetan?
Rüben
Kostbarkeiten hab ich mitgebracht fiir dich,
wie sie tragen dort in Holland : Schauben aus
schwerem Brokat, Gold und Silber gewirkt dar-
ein, und Stoflfe mit bunten Blumen eingeprelst
in den Samt, und Schuh aus weichem Sämisch
und ein fein Gürtlein aus Kettlein von gutem
83
6*
Gold mit grünen Steinen, damit du keiner nach-
zustehn brauchst, wenn du zum Tanz gehst I
Abigail
Beim Tanz hat keiner mich noch gesehn»
Rüben,
freudig.
Nicht? So Stolz bist du geworden? Keine
Freude findest du, zum Tanz zu gehn? Oder
— Abigail, Abigail: weil du auf mich gewartet
hast, all die Zeit?
Abigail,
rafch und Indem de auf seine Lippen delrt.
Weifst denn nicht mdir, wie du mich ge-
nannt hast, wenn wir so beinander gesessen
sind, Kinder, im Dunkeln?
Rüben
Weife es gar wohl 1 Und das eine Mal, wie
ich die Bibel heHl>eigeschleppt habe, das schwere
Buch, da haben wir sie aufgeschlagen, um die
Stellen zu finden von Ehe und von Mann und
Weib — und das eine Mal, wie wir zum Baum
hingegangen sind, zum Baum bei der Mauer,
weifet du noch? War um die Zeit, wo man
die Abendglocke hat hören können, herüber
aus der Christenstadt — weifst du noch, was
geschehen ist dabei?
84
Abigail
Hast in der Fremde die flandrischen Mäd-
chen geküfst?
Rüben
Ist mir doch nur die holdselig, die soll
Mutter seini Abigail —
Abigail
Keine hast du geküfst in der Fremde?
Rüben
Nach der Fremde frag mich nicht, singt
kein Vogel in der Fremde!
Abigail
Ist keine dagebUeben, die in Weinen dir
nachgeschaut hat auf den Weg, wo du fort-
gezogen bist?
Rüben
Keine, keine ist da, nach der ich schauen
möchte hinter mich. Du nur — du nur sollst
nicht von mir wegschauen! Fafit ihr Kinn, wendet
ihr Geiicht zn dch. Bin jetzt daheim I Wendet ihr
Gesicht von dch ab. Bin jetzt fort, weit, hab keine
Heimat. So sitze ich neben dir, Kind, wei&t
du das? Vergifs es nicht, wenn du mich an-
schaust. War ein anderer Mensch, solang ich
deinen Blick nicht auf mir gefühlt habe. Nicht
sei gedacht der Jahre und nicht des Tages!
85
Die Jahre hab ich: Leben genannt und den
Tag: meine Freiheit! Aber wahrhaftig: mein
Gang war nicht grad und mein Sinn nicht echt
und mein Drang nicht rechtscha£fen; so hab
ich gedacht: Kraft und Wissen sind in mir —
aber was ist dann das, was jetzt hereinströmt
in mich aus dir, wenn es nicht die Kraft ist
und das Wissen und das Leben? Kind, nicht
schaue weg von mir!
Abigail
Du hast nicht — all dein Blut in einem
Fleck — auf deiner Brust?
Rüben
Meinst du — mein Herz?
Abigail
Gib dein Herz mir her. Ich will hinschauen
auf deine Brust — du hast doch keine Angst,
wenn meine Augen auf der Brust dir liegen?
Rüben,
sie an sich ziehend.
Nimm mein Herz heraus, du mit deinen
Brüsten aus Mondschein!
Abigail
Was wirst du tun, wenn ich dir dein rotes
Herz weggerissen habe von der Brust?
86
Rüben
Tief werde ich mich in deine Arme hinein-
legen und sterben.
Abigail
Fürchtest du dich nicht vor dem Totsein?
Rüben
Furcht mich nicht vor dem Tod. Gern will
ich die Augen zuschliefsen, tief . . .
Abigail
entwindet sich ihm, die Hände über den Augen.
Nicht! Nicht 1
Rüben
Tief werde ich die Augen zuschliefsen, wenn
deine oflfen geblieben sind und hcrunterschauen
auf meine toten Augen!
Abigail
springt auf, läuft gegen Amina zu, Angit schüttelt sie.
Nicht!
Rüben
Ist nicht so schwer, das Sterben 1 Vor dem
Leben hab ich nur Angst, wenn du nicht bei
mirfsein willst!
Abigail
nimmt die Hände vom Gesicht.
Ich hab auch Angst vor dem Leben.
87
Rüben,
lachend.
Was mufst du dich ängsten vor dem Leben,
Kind? Horch, wie es sein wird, dein Leben!
Abigail,
dicht an Amina geachmiegt.
Angst hab ich auch, vor dem Leben!
Rüben
fleht sie kaum, hebt das Knie zwischen den Hfinden, spricht
mit znrfickgeworfenem Kopf ins Blaue.
Glatt und blumig wird dein Leben sein, Kind,
wie die Wiese hinter der Mauer, wie die weite
Wiese — wenn du mich lieb haben willst in
deinem Herzen. Sieh her: o£fen ist vor dir
mein Herz imd.mein Verstand, die Kraft wird
hereinströmen mit grofeer Gewalt in mich, und
ich werde bestehen vor mir selber und im Rat
der Männer, Sollst sehn, wie ich bestehn und
gewaltig sein werde, wenn du nur mit Liebe
zu mir stehn willst, Kind! Heimgekehrt bin
ich, wozu? Um dich hab ich Angst gehabt,
aber daran, dafs ich Angst haben durfte auch
um andres willen, daran denk ich erst jetzt.
Hab drüben noch nicht in die Speicher einge-
blickt, drüben im Vaterhaus, und hat mir doch
mancheine mifsmutige Botschaft geschickt der
Alte, der im Speicher ist, bei den Stapeln, bei
88
den Waren, im Haus I Steht oft still der Han-
del, still steht er wie zu Worms der Krahnel
Will schon schaffen, er soll sich ummeregenl
Wozu hätt ich sonst heimgebracht das Gelernte,
die Kunde? Dafs ich so lang fortgewesen bin
von dir, das soll die Welt mir jetzt bezahlen
mit Zinsen! Das schöne Gold werd ich dir
vor die Füfse legen, die Erste wirst du sein,
nicht zwischen den Mauern, im ganzen Land,
so weit unser Stamm verstreut ist!
Abigail
Durch dich soll die Erste werden — die
Tochter Bennahums?
Rüben
So bald du den Namen von deinem Vater
aussprichst, da ist es mir, alles, alles sei ver-
geblich I
Abigail
Vergeblich, vergeblich, warum? Hab doch
mein Auge liegen auf dir; verspürst du nicht,
wenn mein Auge glänzt, wie's dir warm will
aufsteigen aus der Brust?
Rüben
Du Zauberin — vermagst du hinwegzu-
sprechen das Verbot von der Schwelle? Dafs
89
ich deinem Vater entgegentreten kann, beschützt
von Liebe?
Abigail
Ich auch, ich kann es schaffen, dafs Einer
sein warmes Herz wie ein blutig Wort bei sich
tr^^ auf seine Brust gesiegelt, und schwer
und heife, und alle seine Wege lang! Ich kann's
auch schaffen, ich auchl Man hört yereinzelte Rufe
yon der Gasie her.
Rüben
beim Tor; während der folgenden Sätze yersncht er den
Querbalken zu heben, läOst aber schliefslich ächsend ab davon.
Auf dieser seiner Schwelle will ich stehn vor
ihm. Deine Hand wirst du ausstrecken nach
mir und ich werde fühlen die Kraft in der Luft
um meine Glieder! Aufrecht werd ich dastehn
vor dem Angesicht des Gewaltigen, aufrecht!
Und er wird erkennen, ich bin nicht mehr der
blinde bübische Tor, der ich gestern war,
sondern ich bin der, der sein gröfstes Wunder-
werk hat erblickt — zu Abigail hinstürzend, nmralst
ihre Knie — dich! dich!
Abigail
vor sich hin.
Nachts wird ein Licht brennen in meinem
Fenster oben, wenn ich mein Haar aufmache
zur Nacht — scheinen die Sterne nicht hell.
90
zittert der Mond blafs auf dem Himmel, aber
in meiner Stub das Licht brennt geruhig und
stark, wenn ich dasteh in den Nächten, angetan
mit meinem Haar allein! Die Rufe werden itirker
Temommen.
Amina
kommt, als risse er sich gewaltsam ans der Erstammg, mit
einem Satz zu Abigail.
Rüben
Der Golem ! Er hat sich geregt! Er springt auf.
Horch in die Gasse! Der Rabbi! Sie bringen
ihn! Der Rabbi!
Abigail
zu Amina.
Bist erwacht am Ende, du? Hab ich dich
erweckt? Deine Augen — sind sie wach ge-
worden? Näher komme. Sieh mich an. Er-
kennst du mich? Weifst du, wer ich bin?
Amina
Du bist Pniela.
Abigail
Wer bin ich?
Amina
Du bist Pniela.
Abigail
Pniela? Was ist das für ein Wort? — Schön,
91
schön klingt es. Nenne mich Pniela in der
Stunde der Liebe!
Taube
pocht dranfsen an'f Feniter.
Rüben! Rüben!
Rüben
stürzt an'f Fenster.
Es ruft, es ruft von der Gasse her!
Taube
▼on drftnfsen«
Abigaill Ich bin es, Taube!
Abigaii
mm Fenster, sie umwindet die Fensterhaken mit ihrem auf-
gelösten Haar.
Was rufst du? Der Vater ist nicht im Haust
Was ist dein Begehr?
Taube
Rüben, Rüben soll kommen, eh der Rabbi
rückkehrt I (rieb frei den Bruder, Abigaii?
Abigaii
Halt ich ihn denn gefangen? Frei durch's
Tor mag er gehn, wehr es ihm nicht!
Rüben
Was ist dir, Schwester? Deine Stimme
zittert, du weinst?
92
Taube
Hört ihr das Geschrei nicht von der Gasse?
Der Rabbi — ich hab ihn gesehnt Gesehn,
wie er aus dem Gotteshaus herausgekommen ist!
Abigail
öfihet dal Fenster, beugt dch hinaus.
Du hast ihn gesehn? Wohin nahm er den
Weg? Ist er zu Rahel gegangen? Zur Witwe?
zum Toten?
Taube
Gegangen nicht! So war sein Gang, als
wenn er hin sollt stürzen vor jedem Schritt!
O, mir ist: ein grofs Unheil steht bevor! Ich
hab ihn gesehn, ich hab ihn gesehn!
Abigail
fafst sie bei den Schaltern.
Was weinst du? Was hast du meinen Vater
zu beweinen?
Taube
Vor dem Gotteshaus war ich, mit den an-
deren allen. Hinter den Scheiben, da war ein
Feuer gesehn, kein Mensch hat je solch ein
Feuer gesehn mit Augen — es war als stund
das ganze Haus in Brand! Die Frauen, die
gesegneten Leibs dastanden, sind heim geflohen,
die Männer haben sich die Barte gerauft: die
heilige Bundeslade verbrennt! Aber es war
93
kein Knistern oder Gezisch zu hören, wie vom
Feuer sonst, nur eine einzige grofe groise
Stimme, des Rabbis Stimme, das wufst ein
jeder und erkannte sie doch nicht als des Rab-
bis Stimme und auch nachher war sie nicht zu
erkennen, wie sie leise und leise geworden istl
Abigail
Und dann — was ist geschehen, wie sie
erloschen war, seine Stimme?
Taube
bedeckt die Augen.
Als ob jemand stürbe, so war sie am Ende,
und doch hörte sie jeder von uns draufsen!
Des Rabbis Stimme! Dann ist das Tor weit
aufgeflogen und er kam unter die Menschen
heraus, der Rabbi I schiuch«eiid — der Rabbi!
Abigail
zu Amina.
Hast du nicht gesprochen : grofse Flammen
waren hier zur Nacht? Und der Rabbi hat gezittert
vor ihnen, wie er hinaus ist in's Gotteshaus?
Taube'
Ein Gestorbener mufs so aussehen ! Weifser
als das Sterbekleid, das an ihm hing, waren
seine Hände und sein Gesicht!
94
Rüben
Und das Feuer, das Feuer ging mit ihm?
War's um sein Haupt, um seine Hände, das
Feuer ?
Taube
bebend.
Hinter ihm ist das Feuer geblieben I faltet
die Hände. Grofser Gott im Himmel, gib's nicht
zu, dafs die heilige Lade soll zu Aschen ver-
brennen, jetzt, wo keiner da geblieben ist, zu
bändigen das Feuer !
Abigail
Den Weg zum Haus Raheis ist er dann
gegangen? Soll ich dir die Worte mit den
Händen herausholen, du?
Taube
Auf dem Weg, auf dem Weg zum Toten
hab ich ihn verlassen 1 Mardoch, der Ehrwür-
dige, der alte Mardoch kam auf ihn zu und
kniete nieder und schrie : Grottesmächtiger I Du
Herr des Feuers! Erlöser des Volkes 1 Der
Rabbi aber rief nur: Wende ab die Hand! leiter
die Hand aus dem Feuer, wende sie ab! —
— Ein grofs Unheil wird geschehen ! Rüben,
wenn der Rabbi heimkehrt, er soll dich nicht
finden hier!
95
Amina
Vom Tor weg tu ich das Eisen, wenn er
mag gehen, der Mensch.
Abigail
Wie eine Feder hebst du es in die Höhe!
Wie eine Feder könntest du ihn zerbrechen I
Taub e
Der Golem l Was ist geschehn mit dem
Golem ? So wie heut hab ich ihn nie gesehn 1
Abigail
lachend.
Erkennst ihn nicht wieder — den Golem?
Rüben
▼oll Gtavens inrackweichend.
Abigail — vor Glückseligkeit schimmert dein
ganzes Gesicht — zur Stund, da dein Vater
hinstürzt , bleich wie das Tote I Abigail —
wenn sie ihn möchten im Triumph herführen
jetzt, den Rabbi — leichter würde ich ein Wort
aus mir herausbringen, das ihn versöhnt mit
mir — leichter als wie ich ein Wort heraus-
bringe zu sagen, was ich für dich fühle, jetzt,
wo du lachst !
Taube
bat darch das Fenster Rnbens Ann erfofst.
Er wird kommen! Es ist nicht weit von
Raheis Haus hieherl
96
y
Rüben
auf der Fexutexbank knieend, mit schmerzlicher Bewegasg.
Schwester, sieh sie an I Sieh sie an ! Mir
hat sie alle die Liebesworte gegeben — und
wie sie ihn jetzt anblickt — den Golem !
Taube
Rüben, ein Unheil ist nahl Komm Rüben
— sachte 1 Die Mauer ist steil und deine Augen
sind trüb vor Tränen ! Zieht ihn sanft zu sich hinaus.
Rüben
schon von der Gasse her, im Abgehen.
Abigail !
Abigail
Erweckter, du ! Hörst du mich, du, den ich
auferweckt hab 1 — Der Vater wird kommen,
bcdd ist er hier. Hörst du? Hörst du nicht?
Amina
bUckt zn Boden, wiegt den Körper, wie in Grimm.
Abigail
Soll ich dich mahnen, was dir zukommt?
Hast dus im Schlaf zurückgelassen, da(s du
dich nicht mehr erinnerst, mit einemmal ? Was
stehst dort müssig? Rüste zum Empfang!
Ami na
Nicht mehr.
97
7 Arthur Holitscher, Der Golem
Abigail
Was murmelst du von: nicht?
Amina
Nicht mehr dem Rabbi dienen. Nicht mehr
dem Rabbi dienen.
Abigail
Was ist? Warum nicht mehr dem Rabbi
dienen? Was ss^t du mit einem mal: Rabbi?
nähci zu ihm, lauernd. Was sagst du nimmer: Vater?
Nicht mehr.
Amina
stark.
Abigail
Ich hab dirs verwehrt, Vater zu sagen. Hor^
es war böse von mir: Du sollst jetzt wieder:
Vater ! sagen. Ich will es !
Amina
yor sich hin.
Vater — Mutter — Kindheit — schüttelt leise
den Kopf.
Abigail
Was sprichst du für Worte — nach?
Amina
erst im Tonfall Rubens, drauf im eigenen.
Wie wir sind Kinder gewesen und — Vater
98
— und Mutter. Wie wir sind Kinder gewesen
— und Vater und Mutter. —
Abigail
lacht, dann ernst.
Mufs man dirs deuten ? Du warst nie Kind ?
Ein kleines schwaches Kind ? Was Vater ist —
hast du vergessen? Und Mutter — Mutter ist
ja doch — plötzlich schwer. Meine ist gestorben,
wie sie mich hergebracht hat in die Welt, weifs
nicht, was das ist: Mutter! Amina, ich auch
nicht, ich weifs es auch nicht, was das ist:
Mutter ! Setzt sich auf die Bank tot dem Kamin, starrt
yot sich hin.
Amina
Mutter, das ist, wie du.
Abigail
schrickt zusammen.
Ich! Dann mit geschlossenen Augen, indem sie die
Arme nach Amina ausstreckt. Zu dir, ZU dir wollt'
ich Mutter sein ! Wollt, ich könnt' Mutter sein
— zu dir!
Amina,
mit geschlossenen Augen zu ihr, wie herangezogen, kauert
sich zu ihren Fäfsen nieder, sein Kopf sinkt auf seine Brust
herab.
Abigail
blickt über ihn hinweg; ihre Hände streicheln sein Haar,
bleiben auf seinem Scheitel, auf seiner Schulter liegen; sie
99
spricht langtam Tor lich hin, erst in singender Weise, dann
allmähliche Steigerung.
Ein klein Wesen sollt liegen in meinem Arm,
leis möcht ich ihm streicheln über sein fein dünn
Haar, möcht singen über der Wiegen, für die
weifsen Engel, damit sie bleiben, und für die
schwarzen Engel, damit sie fort — fort aus dem
Schlaf, fort von der Stirn fliegen I Meinen schwar-
zen Mantel, womit ich über die Gasse gegangen
bin, wie ich es getragen hab, meinen schwarzen
Mantel zerschneid ich nicht 1 Wenn es wird
laufen können in seine kleine Schuh, soll's
mit nlir kommen durch die Gasse , auf seine
kleine Mütze drüber werd ich breiten den Mantel,
damit kein Windhauch sich verfangt in seinem
Haar, damit es mir doch nicht krank zurück-
kommt ins Haus, in die Stub, mein Leben?
Die Stufen hinauf mufs ich's noch tragen, ei
schwer, so klein es ist, die Stufen sind hoch
und viel hinauf ins Grotteshaus und wo die
Frauen sitzen oben! und auf dem Schofs, da
schläft es mir ein, aber huscht bleib der Schlaf
über seinem Auge — weil unten werden ge-
sungen im heiligen Chor die Gesänge von un-
serm Volk am alten Jordanstrom, und gesegnet
ist mein Kind, wenn es hört in seinen Schlaf
hinein den Gesang 1 Selber wird es lesen bald
lOO
aus dem gelobten Buch, werd ich ihm weisen
in der Sabbatnacht die Sprüche, und wird sein
Finger streichen klein und furchtsam weg über
die gewaltigen Buchstaben — und in einer Ecke
wird seine Mutter hören und nicken und sitzen
bei ihrem Herrn, du Freude ihrem Angesicht 1
Und werd sitzen und nicht greinen, wenn du
wirst heimkommen spät und sagen: in der Schul
war lang und streng die Lehre — weil ich werd
wissen, beim Baum war ich auch gewesen, einst,
und hab nicht gemerkt, wie es ist Abend ge-
worden! Und die Jungfräulein werden schon
herüberspähen nach meinem Knaben und er
wird schon für Schand achten sein lang Haar,
in der Eck werden sie tuscheln, wenn er stolz
vorübergeht, aber ist doch rot geworden von
ihrem Anblicken! Nimmer lang wird's dauern^
und werden selber legen das Gesicht ins Tuch,
verschämt, wenn im andern Zimmer die Knaben
herübersingen : Das Nägelein und Zimmetrind,
das wächst in unserm Garten, ei wie lang, du
schönes Kind , soll ich auf dich warten ? Und
sieh dich vor, weil die Stadt ist eng und nie-
mand darf sehen und wissen, wenn der heilige
Sabbat kommt zu gehn und du singst zwischen
den Männern, dafs du verstohlen hinaufschaust
zum Gitter, wo die Frauen sitzen, ob nicht ein
lOI
Gesicht ist gepreist ans Gitter und flaUert eine
Strähne Haar heraus? Aber dann, im Heim-
lichen, dir gehört das ganze Haar, dein Gesicht
und dein Mund kannst baden darin, neigt sich zu.
ihm und wird kommen der Ts^, wo sie sitzt,
die auf dich gewartet hat, in der Stub, in Seiden,
und mit Goldscheren werden ihr jetzt abge-
schnitten die Haar, weil dir jetzt angehört alles,
und die Perlenschnüre fallen aus dem Haar auf
die Erde, und die Männer sagen die Gebete
und die Frauen sagen den Segen, und die Braut
steht zitternd in der Tür und mein Bräutigam
konunt und hebt mit starkem Arm mich auf
zu sich in der Nacht! Sie hat sich über sein Gesicht
geneigt, küfst ihn.
Amina,
ganz in sich verkanert, an die Haitang in der ersten Szene
des Stückes erinnernd; bei den letzten Worten Abigails ist
sein leises Stöhnen in kurzen Stöfsen zn hören. Hinter dem
Fenster fliehende Schatten Ton rechts nach links vorüber;
steigendes Gemurmel; einzelne grelle
Rufe
Der Rabbi! Der Rabbi!
Abigail
sieht Amina an.
Stöhnt, stöhnt herauf wie aus tiefem Schacht!
Du — du — aus was für einem StoflF bist du
geschaffen?
I02
Amina
ist angestanden; sein Stöhnen ist wie eines verendenden
Tieres Lant; er schüttelt die Fäuste gegen den Boden.
Rufe
Weh uns! Weh unsl
Abigail
ordnet das Haar, fährt sich über das glühende Gresicht
Den Vater bringen sie, den Vater! Läuft zum
Fenster, öfihet es.
Die Rufe,
verstärkt.
Weh! Weh!
Abigail
reifst das Fenster zu, steht wie betäubt.
Niemand ist mit ihm! Allein kommt erl
Durch die Luft tastet er sich — vorwärts, hat
keinen Atem! Allein!
Amina
stöhnend, schüttelt die geballten Fäuste gegen das Tor.
Rabbi
pocht draufsen dreimal stark ans Tor.
Abigail
Amina! Der Vater ist doch — der Vater
ist am Tori
Amina
schüttelt die Fäuste gegen das Tor.
103
Rabbi
tcbligt heftiger ant Tor. Dai Fenster hat sich geofihet,
man sieht weit hinten in der Gasse Menschen mit angst-
erfollten Gesichtern an die Häuser gedrückt dastehn.
Abigail,
leiser.
Was tust du? Was tust du gegen den Vater,
Amina? — Amina?
Amina
-wie oben, sein Stöhnen ist in ein knizes Schluchzen über-
gegangen.
Rabbi
ein Schlag, dann.
Öffne! Öffne das Tor — Golem!!
Abigail
stürzt zn Amina, mnklammert ihn, dann mit haiserfülltem
Ausdruck gegen das Tor.
Lafs ihn schlagen, an das Tor! Sie zieht
Amina weiter zurück, mit sich, gegen die Rampe su.
Rabbi
Golem!
Abigail
den Golem liebkosend, ihr Schluchzen ist mit seinem Ter->
eint zu hören.
Rabbi
Ein kraftloses Pochen; dann leise, heiser.
Golem.
Vorhang.
104
Dritter Aufzug
Eine spStere Stunde desselben Tages.
Taube
links hinten beim Tot; sie bat die Hand anf den Riegel
gedrückt.
Rabbi
Tom in der Mitte der Buhne; spricht leise und hastig.
Was stehst du und klammerst dich fest ans
Tor? Sind dir die Schritte nicht sicher in mei-
nem Haus, über die Diele.? Hast den Weg ver-
gessen? Geh doch, geh dahin und frag sie,
warum sie nicht ihrem Vater unter die Augen
treten will? Geh doch — hinauf zu ihr!
Taube
Nicht zu Abigail wollt ich kommen, Rabbi l
Rabbi
Was stehst du dann und hast deine Hand
auf dem Riegel — damit du kannst auf und
hinaus, wenn ich einen Schritt nur zu dir geh?
Taube
kommt näher.
Weshalb sollt ich Angst vor dir haben, Rabbi?
Rabbi
zum Gestühl; den Kopf auf die Hände gelegt.
So sag mir, was haben die Angst, die dort
105
draufsen? Dafs sie ausweichen vor meinem
Schritt? Haben mir Teppiche vor die Füfse
gelegt in den Gassenschmutz als einem König
und weichen jetzt aus vor mir, so als war ich
behaftet mit Aussatz —
Taube
Rabbi, ihre Hoffnungen sind ihnen aus den
Händen weggeschlagen worden —
Rabbi
In grofsem Bogen weit hinten stehn sie
herum um mein Haus, traut sich keiner näher
heranzukommen 1
Taube
Noch gröfser wird werden die Leere, noch
gröfser wird werden die Abgeschiedenheit um
dich herum 1
Rabbi
hebt die HSnde.
Dein Schöpfer behüte deine Worte, Kind!
Was sprichst du? Zu mir bist du gekommen,
um das vor meinem Ohr zu sagen?
Taube
Ganz einsam in deinem Haus, ganz einsam
wirst du werden — Rabbi I An deinem Abend
sollst du nicht allein bleiben und einsam 1 Da-
zu bin ich hergekommen!
io6
Rabbi
zu ihr, erfafst ihre Hände.
Dein Wissen, Taube, woher kommt es dir?
Wer hat gesprochen zu dir? Hab ich Bericht
gegeben — einer sterblichen Seele, von dem
was mir widerfahren ist?
Taube
Nichts ist mir kund, Rabbi!
Rabbi
Die Kinder auf der Gasse schreien es schon,
was mir widerfahren ist?
Taube
Nein, o Rabbi 1 Wie sollt ich wissen, was
die Menschen nicht erfahren dürfen?
Rabbi
Dafs ich einsam bleiben werde — einsam
im Haus, in der Welt, dafs Abgeschieden-
heit sein wird um mich — hast du es nicht
gesagt? Wer — wer hat dir eingeflüstert das
Schreckliche!
Taube
Rabbi, du selber, du selber hast doch ge-
sprochen zu Rüben: wie du begehrst nach
einem Menschen, um nicht allein zu sein mit
all der Last, die auf dir liegt?
107
Rabbi
Also bin ich schwach geworden in meinem
Innern, dafs ich erzittern mufe vor einem Wort,
das ein Kind spricht in Unschuld 1 So wird
mir vielleicht her geschickt das Kind, damit
ich soll haben ein unschuldig Herz, um hinein
zu giefeen, was nicht mehr Raum hat in mir
und überfliefst?
Taube
einen Schritt näher, bleich, mit geschlossenen Augen flüsternd»
Rabbi, Grofsmächtiger, Licht und Blume . . .
Rabbi,
seine Hände ergreifen den Lenchter, tasten über die Kerzok
weg.
Der Engel — dir ist bewufst, Taube? Ach
Kind, was rede ich, wie sollte dir das Wissen
sein um den Engel? Es ist der Grofee, der
Schwarze, der Schweigende, der die Lebendigen
herausreifst aus den Reihen, aus den Häusern,
mit seiner Hand — seiner schrecklichen Hand
— die hält fest, was sie einmal genommen hat,
fest und sicher zwischen ihren Fingern —
Taube
hält sich wankend an der Wand des Gestühls fest.
Du hast deine Hände ausgestreckt nach der
Hand des Engels, Rabbi?
io8
Rabbi
Das Element, in dem er lebt, der Schwei-
gende, mir hat es gehorcht, das Element I Nur
wie ein Hauch brauchte über meine Lippen zu
kommen das Wort, und es ist aufgelodert in
die Höhe, und der Engel war zur Stelle! Aber
ich hab aufgetan meinen Mund und stattgegeben
dem Strom meiner Stimme, damit seine Hand
soll kraftlos werden und ich kann herauspressen
die Seele aus seinem GriflF — und ihm zeigen
Gewalt gegen Gewalt! Hab ich mich vermessen,
dafs meine Stimme so gewaltig ertönen soll?
Ich hab mich vermessen —
Taube
Schrecklich war deine Stimme zu hören für
uns auf dem Markt!
Rabbi
Nie mehr wird sie ertönen, wie sie ertönt
ist im Gotteshaus!
Taube
Könnt ich dir geben den Odem aus meiner
Brust heraus I
Rabbi
Und ich hab sie erblickt, in der Höhe, die
Hand des Engels! Aber sie war nicht gekrampft
und die Seele hielt sie nicht zwischen den Fin-
109
gern — grad ausgestreckt war die Hand und
hat gezeigt hieher, nach meinem Haus, und hat
sich ausgestreckt wie um zu greifen, so als
könnte sie's nicht erwarten, herauszureifsen ihre
Beute, aus meinem Haus heraus 1
Taube
Ich hörte, ich hörte dich rufen zu Mardoch,
am Wege, Rabbi!
Rabbi
Und ich bin den Weg gegangen — nicht
in mein Haus, sondern zum Toten! Ich bin
gegangen — ^um Toten 1 schüttelt das Haupt statt
zum Lebenden — in mein Haus —
Taube
Rabbi, den Weg hättest du nicht gehn
sollen !
Rabbi
Heifst es nicht: wo du dein Verderben
schauen sollst, dorthin tragen dich deine Füfee ?
Zum Toten bin ich gegangen und es war nicht
der Weg, den ich sollte gehnl Denn wie ich
im Haus war, vor dem Toten, da sagte mir
der Blick der Mutter: was suchst du hier? Und
hinter dem Toten, da war ein Gesicht zu schauen,
das war wie der ewige Triumph und schaute
mich an und ich hab erkannt: vergeblich!
HO
Taube
Rabbi y selbst warst du anzusehn wie ein
Toter !
Rabbi
Hätt' er mich gefafst — hätt er meine Seele
herausgerissen — aber neinl Wo war er ge-
blieben, der Schwarze, der Gewaltige, wo war
er, derweil ich mich vermessen habe? Was hat
sich ereignet , hier , in meinem Haus , derweil
ich fort war, und mich vermessen habe? —
Mein Kind, mein Kind hab ich nicht erblickt,
seit ich zurück bin, dahier in meinem Haus!
Taube — hinauf, hinauf geh zu ihr: was kommt
sie nicht, was zeigt sie sich ihrem Vater nicht?
Und ich hab Angst, laut zu rufen ihren Namen!
Taube
Rabbi, sie hat, was sie vergessen läfst Vater
und Welt und alles! Bereit dich, Rabbi, du
wirst es nicht weigern können, du wirst ver-
lieren dein Kind!
Rabbi,
die Hand auf ihrem Scheitel.
Verlieren! Du junges Geschöpf, ein gutes
Geschick flüstert dir alle deine Worte ein, dafs
sie mild klingen und einen andern Sinn bekom-
men in deinem Mund!
III
Taube
Rabbi, nicht länger sei zornig auf Rüben!
Trauernd sitzt er in der Stub daheim und
schaut hinweg über die Dächer, herüber zu
ihrem Fenster hier oben!
Rabbi
Soll ich ihn nun rufen, den Weg zurück,
in das Haus, worauf der Fluch liegt, und wo-
nach sich die Hand ausstreckt? Die Tochter
des Grofsen heimzuführen ist er gekommen —
Taube
Grois bist du, Rabbi, weil du verzeihen
kannst !
Rabbi
. Du Kind, was ist zwischen deinen Augen
und mir, dafs du mich so siehst, wie dein Herz
mich haben möchte? Wo ist die Kraft hin-
gekommen, die mich ausgezeichnet hat vor den
andern? Hat sich nicht mein eigner Knecht
aufgelehnt gegen mich? Hat sich nicht meine
eigne Kraft gekehrt gegen mich, um mich zu
zerschlagen?
Taube,
auf einmal voU Kraft.
Lafs ihn ziehn, Rabbi ! Er soll gehn von
dir, er soll gehn ! Nicht wirst du ihn furder
brauchen, bei dir will ich bleiben, wUl deine
112
Magd sein, schweigend und gehorsam ! Er soll
gehn, er soll gehn!
Rabbi
Aufgelehnt meine Kraft und ist doch nur
— ein Golem I Ist das — meine Hand ? Ist
das meine Stirn ? Und das, das ist doch mein
Buch und mein Leuchter, mein Eigentum I Ge-
horcht mir meine Hand? Und fafst den Leuch-
ter an und zertrümmert meine Stirn, wenn ich
nicht will? Wenn ich nicht spreche : du tu
dies, tu jenes ? Und ein Golem, weh mir, das
Geschöpf, von mir gewirkt, durch mich ge-
schaffen, mein, mein — und mir entronnen 1
Pause; herausbrechend. Ihn 1 Engel, ihn will jch
in deine Hand pressen, er hat doch Leben, du
siehst doch, Leben hat er erhalten, wenn er
sich auilehnen kann gegen seinen Schöpfer 1
Mein Leben ist's, was er erhalten hat — nimm
ihn, Engel, nimm das Geschöpf! Was soll ich
zahlen mit meinem eigenen Blut ? Nicht mein
Kind, ihn, ihn reifse heraus aus meinem Hause,
ihn, den Golem!
Taube
Rabbi ich furcht mich! Ich kann nicht
deine Stimme ertragen, ich kann deine Augen
nicht ertragen ! Rabbi, wohin blickst du ! Wie
113
8 Arthur Holitscher^ Der Golem
soll ich — bei dir sein — deine Magd — sie
fltöfft hastig den Riegel rom Tor zurück, eilt weinend hinaos.
Rabbi
zum Vorhang rechts rom.
Golem ! !
Abigail
kommt die Treppe herab, eilt ebenfalls znm Vorhang.
Amina ! !
Rabbi
will sie an sich pressen.
Mein Blutl
Abigail
entwindet sich ihm, horcht an dem Vorhang.
Amina 1 1
Rabbi
Erblick ich dich! Wo hast du dich ver-
halten } Hast du meinen Ruf nicht vernommen?
Über die Dächer weg hast du geblickt.^ Zum
Haus von Rüben hast du geblickt?
Abigail
sieht ihn starr an.
Auf den Himmel war mein Blick gerichtet,.
Vater.
Rabbi
Nicht sollst du, mein Kindl Was hast du
zu suchen, über dir, hoch?
114
Abigail
Eine Wolke hab ich geschaut. Über dem
Gotteshaus hat sie gestanden, näher ist sie ge-
kommen und näher zu unserm Haus!
Rabbi
Näher zu unserm Haus — eine Wolke?
Abigail
Und gröfser — und gröfser ist sie geworden
— im Näherkommen ! Da hab ich gefühlt, ich
mufs herunter, nicht allein darf ich sein —
aber da hab ich die fremde Stimme sprechen
gehört — und wollt auch nicht herunter, und
nichts hören! Weife gar gut die Stimme und
was sie gesprochen hat, und hab doch kein
Wort erspäht —
Rabbi
Eine fremde Stimme hast du recht vernom-
men, aber wem hat sie angehört, die fremde
Stimme? Deinem Vater, Kind ! Wirst du dich
gewöhnen können an die fremde Stimme von
deinem Vater im Haus?
Abigail
Was brauchst du anzunehmen die Stimme?
Rabbi
Mein Kind, Glück ist uns widerfahren —
115
8*
Rüben ist heimgekehrt, du weifst, um dich zu
freien ist er heimgekehrt. Ein Mann ist er ge-
worden, erwachsen und aufrecht, er hat den
Stolz und sein Wert ist ihm bewufet!
Abigail
Vater, ist nicht gess^: dem Grofeen soll
angehören das Kind des Grofsen? Hast du
mir nicht das Wort gesprochen über der Wie-
gen?
Rabbi
Der Grofee! Menschenwort! An der Tür
haben sie mir gelungert um Einlafs, gestern
noch — wo sind sie nun geblieben? Ein Kind
ist gekommen, allein, ein Kindl Hättest du aus
deinem Fenster herunter geschaut, du hättest
die Menschen erbUckt, wie sie einen Bogen
machen, um das Haus des Gro&en — aber
zum Himmel hinauf war dein Blick gerichtet!
Über dich! — Mein Blut — wenn du auf den
Himmel geschaut hast und dort erblickt hast
die Wolke — verlassen sollst du das Haus,
darüber die Wolke steht, und darin die Stimme
nicht mehr darf laut erhoben werden! Das
Haus deines Vaters, darin die Hand hält nieder-
geprefet die Luft im Zorn! Verlassen sollst du
das Haus — sieh her, dein Vater bittet, dein
Vater erniedrigt sich vor dir!
ii6
Abigail
Nicht sollst du, Vater! Ich will ja ge-
horchen, ich will ja ziehen aus dem Haus, was
hättest du für ein Kind an mir — wegziehen
will ich mit mir den Fluch über deinem Haus,
weg von dir!
Rabbi
Mein Kind, meines!! Mit ihren schwachen
Kräften will sie vollbringen solches!
Abigail
Wem soll angehören das Kind des Grofeen?
Rabbi, damit der Zorn soll gesühnt sein und
weggezogen der Fluch, so will ich angehören
dem letzten Knecht So gib mich deinem Knecht
Aminal
Rabbi
Was redest du?
Abigail
Willig sollst du, wegen des Zorns!
Rabbi
Dem Golem! Dem Golem willst du an-
gehören 1 1
Abigail
Nicht ruf den Namen zum Schimpf! Amina
ss^ zu ihm!
117
Amina
tritt ras der Vorhangtür.
Rabbi
Wen beschimpft der Name? Wüfetest du
— michl Auf Amina in. An den Brunn mit dir,
stehn leer die Eimer I In Speicher, Holz geholt 1
Abigail
m Amina.
Nicht mehr sollst du: Golem gerufen werden I
Auf deinen Namen sollst du hören, Amina 1
Süfe ist mir der Klang im Ohr!
Rabbi
Aminal Sein Name! Kehr um das Wort
und über dich falle es, was es hat mit seinem
Namen, den ich ihm hab gegeben, du Kind
ohne Verstand!
Abigail
Wohl weifs ich es, er ist nicht wie die an-
dern! Warum? Er hat keinen Gott!
Rabbi
Mit seinem Namen, wie könnt's geschehn,
dafs er käme zu Gott?
Abigail
Alle Bücher hast du! Wirken kannst du es,
dafs er frei wird! Du wirst ihm Gott geben,
ii8
und er wird sein wie die andern! An seiner
Brust das Amulett, gelernt hat er den Namen
des Höchsten, ausgesprochen hat er ihn!
Rabbi
Über deine Lippen ist gekommen —
Abigail
Was blickst du so voll Wut auf Amina,
Vater? Warum sollt er nicht aussprechen —
den Namen? Vater, du zürnst, weil ein Ge-
schöpf Gott will kennen — der über dir ist
und uns allen?
Amina
hat den Rabbi angestarrt; weicht zurück, hält die Arme über
der Brost gekreuzt; zu Abigail.
Mein! Mein! Seine Augen auf meiner Brust,
seine Hände auf meiner Brust — und nicht
drückt die Schnur mehr und das rote Blatt
nimmer — auf meiner Brust — und nichts
mehr!
Rabbi
Recht gesagt: nicht Tod und nicht Schlaf,
wenn meine Hsnd deine Brust berührt — ein
Nichts! Weniger als ein Leichnam! Deinen
Odem zieh ich ein durch meinen Mund in
meine Brust zurück — brauche kaum die Lippen
voneinander zu tun! Mein Eigen bist du!
119
Abigail,
ihre Hand tchntzend auf Aminas Brut gelegt.
Nicht strecke deine Hand aus gegen ihn!
Rabbi
Sie hat ihn gewirkt, sie hat ihn erschaffen
und geformt, diese meine Hand! Wegstreichen
zurück ins Nichts könnte sie ihn, wenn so wäre
der Wille — leiier aber da ist eine andere Hand,
die sich ausstreckt nach ihml
Amina,
zu Abigail.
Weich ist deine Hand, sanft, nicht reifst sie
weg, sondern streichelt I Deine Hand ist Sabbat t
Rabbi
Keinen Sabbat und keinen Sonnts^I Die
Tage des Menschen sind dir nicht bestimmt!
Wer hat dich gelehrt zu sprechen wie du sprichst?
Abigail
Ich! Durch mich hat er die Sprache be-
kommen! Weil ich ihn lieb habe in meinem
Herzen! Weil ich Liebe habe —
Am ina
Deine Hand ist warm — meine auch! Warm
aus deinem Herzen herauf, aus meinem auch!
Führt ihre Hand an seinen Mond. Leben , sagen alle
I20
Menschen, Leben, Leben, aber wenn ich Leben
sagen will — schauen alle weg von mirl Du
ss^st: Tier — du Tierl Aber die Tiere sind
anders, und nicht wie ich!
Abigail
schluchzt auf vor Mitleid und sinkt vor Amina nieder.
Rabbi
Ein Wesen, nicht wie die Wesen sind! Und
Leben, nicht wie das Leben der Wesen! Die
Gliedmafsen, nicht das Fundament ! Was klagst
du, dafs ich dich hineingestellt habe in die Welt
der Menschen als ein Geschöpf für dich allein?
Weiser Richter, was sind wir, die wir mitbe-
kommen haben den Fluch von den Eltern hin-
über zu den Nachkommen, im Blut innen? Und
die Qual zum Erbteil und aufgehäuft Leid und
Schmerz und Unrast — und in dir ist es still
und nichts von Vergangenem und nichts, was
zukünftig werden will und was nicht läfst zur
Ruhe kommen das Innere?
Amina
Ein Mensch sein wie die andern! Freude
fiihlen! Ein Mensch!
Rabbi
Was aus dir spricht, endlich wird's mir kund
und klar! Das — die Meinung? Aus allem, was
121
y
da böse war — tchlSgt licb an die Brost aus allem,
was da wollte über den eigenen Kopf höher
hinauf, und höher als ein Mensch langen kann
mit seinem Willen hoch — aus sdldem bist du
erschaffen ! Uj>d wenn nichts mehr sollt übrig
bleiben WOp/^m — «leb auf Brost, Stim und Mnnd
schlagend mid dem und dem — nimm auf!
Gebärde, als würfe er ans sich heraus und in Amina hinein.
Nimm auf! Aus dem Schöpfer ins Geschöpf!
Werde gewaltig an Kraft, wachse an Kraft, da-
mit aus mir getilgt sein soll alles, alles mit
einem Schlag, wenn ich dich hingebe — ihm,
der dich will!
Amina
windet und krümmt sich, stöhnend, beifst seine Faust, Ge-
bärden, als risse er Ketten entzwei.
Abigail,
sich aufrichtend, sehr ruhig.
Was fehlt ihm dazu, dafs er ein Mensch
werde?
Rabbi
Was mir fehlt zum Gott.
Abigail
Die Menschen haben gessigt: Du bist mehr
als die Menschen sind.
122
Rabbi
Weniger bin ich geworden, als die Menschen
sindl
Abigaily
•wie hellsehend.
Weniger — ja — weil du deinem Kind nicht
schaffen kannst — die Liebe — die ihm fehlt
— zum Leben!
Rabbi,
zitternd.
Hab ich dich nicht genug geliebt, mein
Blut?
Am in a
bewegt sich, als wollte er zu Abigail; leise.
Pniela —
Abigail
streckt die Hände nach ihm ans, sehnsüchtig und abwehrend
zugleich.
Amina I Leise die Treppe hinauf und ab.
Amina
mit dem Rabbi aliein, krümmt sich zusammen, aber es ist
2iicht mehr Unterwürfigkeit, sondern gesammelte Gewalt. —
Er schleicht zum Vorhang, dann zur Treppe, die Blicke
auf dem Boden.
Rabbi
In die Erde willst du versinken? Ist nicht
in der Erde dein Platz! Die Gnade soll dir
geschehen, deinen Weg zurück sollst du finden
123
— zu den Elementen ! Ali Amina vor dem Vorhang
ist. Wohin? Eine Mauer I Ali er vor de« Treppe
ut. Und dort — dein Abgrund! Man hört oben
Ab ig all leite ringen; die Melodie dei anfongs dei II. Akte»
von den Jünglingen und M&dchen gesungenen Liedes; während
des Folgenden irird der Gesang lanter nnd lanter.
Amina
bleibt süllstehn.
Oben — höre !
Rabbi
blickt empor.
Gelobt! Was ein schweres Gewicht wälzt
sich ab von mir 1 Hab nicht gefühlt bei ihren
Worten, dafe ein Kind sie spricht, das weiiit
in einem Augenblick, singt im andern ! Sing
dir frei das Herz, mein Blut, mein Junges! Ge-
lobt! Du aber — was horchst du hin? Dein
Totengesang wird dir gesungen 1
Amina
zwischen Angst und eifernder Wut.
Bei ihr sein, beistehn ihr, oben — bei ihr
sein!
Rabbi
betrachtet ihn.
Wahrhaftig, gelobt auch dafür: dafe mir
noch einmal mein Werk zu sehn beschieden
ist 1 Geschaffen aus der Kraft des Sterblichen*
124
Dafs ich darf sehn die Regung — dafs mir ist
vor Augen mein Werk, wie ich es noch nie
geschaut habet
Amina
Sein bei ihr — sein wie Rüben, sein wie
die, so ziehen mit Gesang 1 Fühlen I Freude
fühlen! Ein Mensch seinl Ich will!
Rabbi
Es war die Absicht: dienen sollt er mir,
und nachher, wenn getan der Dienst, mir liegen
vor den Füfsen wie ein tot Werkzeug, ein Ham-
mer, ein Stab — aber da war mehr Gewalt
lebendig in mir drinnen : Gerechter, wie gewal-
tig war ich, dafs ich ihm so viel hab gegeben !
Gelobt auch für den Schmerz, dafs ich das er-
kennen mufs I Dafe mir gezeigt ist vor Augen,
wie viel ich hingeben mufs 1 Gelobt !
Amina
zwischen durch die Worte des Rabbis.
Ein Mensch sein! Ein Mensch! Ich will!
Ich will ! Als erinnere er sich plötzlich, ausbrechend.
Du sollst! Hab gesagt — Vater ! Zu dir hab
ich Vater gesagt: Du — dusollst! Ein Mensch
will ich sein — du sollst ! ! Draufsen wird's jählings
dunkel. Man hört undeutliches Gemurmel, darauf einzelne
Rufe.
125
Rabbi
An der Zeit ist's.
Amina
Deine Augen sind auf meiner Brust 1 Deine
Hand kommt zu meiner Brust ! Kremt ieine Arme
auf der Bniit. Nicht wegreifeen das Blatt von mir I
Nicht weg! Geben sollst du mir 1 Geben 1 Vater l
Rabbi,
einen Schritt ror Amina innehaltend.
Beweinen werde ich dies mein Werk I Nicht
um mich werd ich weinen — keine Träne, kein
Seufzer um deswillen, dafs ich so grofs gewesen
bin ! Um ihn werde ich weinen und trauern !
Nicht als einer, der hingeht und wirft mit ei-
gener Hand sein Hab ins tiefe Meer — sondern
als einer, dem genommen worden ist das Liebste I
Ich werd weinen um dich, wie um einen Men-
schen ! Was du werden willst, das bist du ge-
worden — weil ich weinen werde um dicht
Er schreitet, mit beschwörend erhobener Hand, auf Amina zu.
Rufe
hinter dem Fenster, das Fenster wird von aofsen eingedrückt»
Eine Wolke steht über deinem Haus, Rabbi 1
Eine Wolke über deinem Haus !
Amina
weicht vor dem Rabbi zurück.
Du willst mir nicht geben — zum Menschen!
126
Du willst wegreifsen mich — ins Nichts 1 Er
bückt sieb, ergreift ein riesiges Holzscheit vom Kamin nnd
schwingt es über des Rabbis Kopf um ihn zu zerschmettern.
Im selben Augenblick ertönt dranfsen gellendes Geschrei;
es wird plötzlich hell, man sieht hinter dem Fenster aus
der Höhe einen Körper niederfallen. — Darauf Stille. —
Das Scheit fällt polternd aus Aminas Händen. —
Rufe
hinter dem Fenster.
Gegriflfen, heraus, heraus gegriflfen I Gepackt,
gestofsen, hinunter I Weh!
Rabbi
ist an das Gestühl zurück getaimielt, hält sich an dem Buch fest.
Amina
mit einem unterdrückten, gedehnten Schrei zum Tor, auf die
Gasse, vor das Fenster. Er kehrt sogleich, mit Abigails
Leiche auf den Armen, zurück, legt sie rechts vom anf den
Boden, starrt ihr kniend in Gesicht. Ein dünnes Blutgeriesel
von der Stime über die Wange Abigails.
Das Ghettovolk
drängt sich im Tor und auf der Gasse hinter dem Fenster.
Es sind unter ihnen Krüppel, Schriftgelehrte, Schüler und
Weiber.
Hinuntergestofsen aus dem Fenster 1 Ge-
sungen hat das Kind, beim Lehnen, gesungen 1
Aus dem Fenster heraus und hinunter!
Die hinter dem Fenster
Lebt das Kind?
127
Die im Haus ,
leUer.
Tot liegt das Kind!
Die hinter dem Fenster
Sein eigen Kind, sein eigen Kind hat er
nicht gerettet I
Die im Haus ,
leiser.
Zwei Schläge! Zwei Schläge an Bennahums
Tor!
Amina
hat fich du Wami vom Leibe gerissen, so dafs das offene
Hemd mit dem roten Amulett anf der blofsen Brust sichtbar
wird. Er hat das Wams snsammengelegt und es der Leiche
unter den Kopf geschoben.
Rabbi
ist im Gestühl ganz zusammengesunken.
Die hinter dem Fenster
Die Wolke ist fort! Zerstoben in nichts!
Hell ist es geworden über dem Haus!
Die im Haus,
murmelnd, im Wechselgespräch.
Seht den Rabbi! Seht den Rabbi! — Was
ist geworden aus dem Stolz von Israel? Ein
alter Mann ist er geworden im Augenblick! —
Hab ich nicht gesagt: erst die hohe Stufe, dann
der tiefe Fall? Hab ich nicht gesagt: bewein
128
die Toten nicht? — Seht, das Messer ist schon
scharf über ihm! — Wie ein Krüppel ist er,
so elend! — Weh, wenn er geworden ist, wie
einer aus uns! — Weh uns!
Die hinter dem Fenster
wenden sich nach der Gasse.
Ehrwürdiger 1 Ehrwürdiger I
Die im Haus
machen Platz.
Ehrwürdiger! — Was ein Unglück über die
Gemeinde! — Sprich zu ihm! Red zu ihm!
Ruf ihn an!
Der Älteste der Gemeinde
kommt langsam nach vom.
Gott soll vor meinen Worten sein! Bin ich
gekommen, zu stören den Schmerz?
Die Jüngsten unter den Schülern
amringen ihn.
Aufrichten soll er sich! Den Kopf soll er
in die Höhe heben! Jetzt, wo alles auf ihm
drückt, soll er aufrecht stehn, grofsl
Der Älteste
Was redet ihr! Sind wir Christen? Haben
wir einen Gekreuzigten zum Gott? Alles oder
nichts, so sind wir aus dem Volk der Juden !
129
9 Arthur Holitscher, Der Golem
Rüben
dilDgt sich von der Gatse kommend, nach vom.
Blümchen! Schönchen 1 Mein Gütelchen,
mein AllesI
Taube
folgt ihm; alt sie Ablgail erblickt, wirft sie sich mit einem
Ao&chrei zurück nnd klammert sich an den Altesten.
Rüben
kniet vor Ablgail nieder, Amina gegenüber, das Gesicht
gegen den Znschaner.
Durch das Tor bin ich, über die Schwelle
bin ich zu dirl Kind, Abigail, hörst du mich
nicht? T^JL deinem Fenster hinüber war mein
Blick; warum hast du nicht hinüber geschaut,
über dieDächer, zu mir, wie du's versprochen hast.
Das Ghettovolk
nmi insgesamt im Hans, spricht in charakteristischem Tonfall
das Totengebet.
Rüben
Recht hab ich zu spüren gekriegt den Huf,
hat mich getreten mitten ins Herz hinein! Und
der Neumond am Himmel, gelenkt hat er mein
Leben, dafs es mir verdorben istl Wo ist jetzt
hin, was du zu mir gesprochen hast — was
sind offen deine Augen, wenn sie mich nicht
anschauen in Liebe?
130
Amin a
erhebt sich halb; stark
Nicht dich! Mich!
Ghettovolk
▼erstammt.
Rüben
reifst sich das Gewand entzwei; spricht nach jedem Rifs:
Für die Braut 1 Für die Versprochene von
den Vätern! Für die Geliebte! Schlägt «ich an die
Brust. Für dich, weil du mich geliebt hast in
deinem Herzen!
Am ina
Nicht dich ! Mich !
Gh etto Volk
Den Golem! Sein eigenes Kind! Den Golem!
Rüben
hat Ablgails Hand erfafst und auf seinen Scheitel gelegt; er
schlägt seinen Kopf an den Boden, so dafs die Hand von
seinem Haar gleitet.
Gesprochen hab ich zu dir: ich will sterben!
Das Wort: Tod, hab ich auf meine Lippen ge-
nommen — zur Lust! Nicht dazu, dafs einer
sollt da liegen, kalt, blutig und ohne Regung —
Blümchen! Nimmer, nimmer wird sie mich
hören! Den Stein der Heimat hab ich geküfst
in der Nacht, was ist mir jetzt die Heimat?
131
Gestählt hab ich meine Arme, sie sollten Kraft
haben zu meinem Willen, was ist mir jetzt Kraft,
was ist mir Willen? Bestehen wollt ich im Rat
der Männer, was ist mir jetzt der Rat, was ist
mir noch das Leben? Was bleibt für mich in
der Welt übrig ? Leid, Leid, das bleibt für mich
— ei, wie brennt es mich hier innen!
Amina
hat ihm zugehört; sieht ihn, dann die andern ringsum an;
leise.
Leid? Leid? Prefst beide Hände an das Herz and
neigt seinen Kopf horchend nieder. Dann, kopfschüttelnd :
Leid?
Rüben,
fast ruhig vor unerträglichem Schmerz.
Blümchen, wie soll ich da sein im Leben,
wach auf, was tust du mir an —
Amina
springt auf.
Ich will nicht I Leiden — ein Mensch sein
— r- leiden, leiden! Lacht lange und greU, wie sich be-
freiend durch das Gelächter. Ein Mensch ! Ich will
nicht ! Er reifst mit beiden Händen das Amulett samt der
Schnur von seiner Brust und bricht an Abigails Seite zu-
sammen, nicht wie ein Mensch, sondern wie eine Masse zu-
sammenstürzt. — Das rote Pergamentblatt fällt neben Abigail
nieder.
132
Rüben
springt auf. Mit einem Blick anf Amina schlägt er sich zum
Ohettovolk zurfick. Alle unter halblauten Rufen fluchtartig
drängend cum Tor hinaus.
Der Älteste und Taube
sind allein beim Rabbi geblieben.
Der Älteste,
laut.
Bennahum !
Rabbi
schweigt
D er Äl teste
Bennahum ! Die heiligen Vorschriften ! Du
versündigst dich! Hörst du meine Stimme nicht,
Bennahum ?
Rabbi
schweigt.
Der Älteste
Das Wasser wegschütten, den Leichnam
kleiden mufst du! Ich bleibe bei dir! Ich
helfe dir!
Rabbi
schüttelt heftig den Kopf.
Der Älteste
erhebt die Hände, ihre Flächen dem Rabbi zugekehrt. Leise.
So such, ob Er dir helfen wird. Ab.
133
Rabbi
nach einer Weile; er blickt au^ als anche er im Leeren.
Fort, das Kind, fort der Knecht. Hab sie
nicht gern fortgelassen, hab sie auch nicht ge-
halten. Still ist*s im Haus.
Taube
ist luhörbar sn Abigail, ist niedergekoiet und hat ihr die
Angen ragedrückt. Sehr leise.
In Ruh, Blümchen. Werd treu sein. Werd
bleiben.
Rabbi
wie ein Blinder einen Schritt nach vom.
Eins lebtl Ein Lebendes ist geblieben hierl
Taube
glättet Abigails Kleid, legt Abigails Hände anf ihrer Brnst
zusammen. Dabei fällt ihr das Amulett in die Hände. Sie
springt aaf und wirft es in weitem Bogen von sich.
Das Amulett — vom Golem — verbrannt
hat es mich, Rabbi tl Sie schlägt die Hände vor den
Mund, es schüttelt sie, sie wankt znm Tor, das Tor fallt
ins Schlofs hinter ihr. — Dämmemng. —
Rabbi
steht eine Weile da, den Kopf tief auf die Brust gesenkt.
Von Anfang her — stand es geschrieben.
Gebenedeit der Richter um seinen Willen.
Er rafit sich auf, als müsse er die Glieder gewaltsam be*
freien, geht zum Tor, legt das Eisen vor, in die Kammer,
aus der er Folianten und Rollen herausholt, wie auch ein
'34
l
zusammengelegtes Tuch, den Totenmantel. Vom Palt des
Gestühls reifst er mit grofser Gewalt das Buch aus seinen
Ketten heraus, bettet Buch, Folianten und Rollen zwischen
den beiden Körpern auf dem Boden und breitet den Toten-
mantel über alles. Er zündet den siebenarmigen Leuchter
' an und stellt ihn auf die Erde, zu Häupten der Leichen hin.
Er bleibt sodann ruhig stehn, mit erhobenem Kopf; die
Kerzen beleuchten ihm Brust und Bart. Wer bist du?
Wie bist du genannt? Sind mir entschwunden
alle deine Namen — alle — bis auf einen:
Der Starke bist du! Der Starke bist dul Ge-
benedeit 1 Auch dafür, dafs du mir zu stark
bist, auch dafür gebenedeit, gebenedeit!
Vorhang.
Von Arthur Holitscher ist im gleichen Verlage erschienen:
Das sentimentale Abenteuer
Novelle. Geh. M. 2.50, geb. M. 3.50
Eine schöne, leidenschaftliche, sich gern und geschickt ver-
schleiemde Fran nasiuhft einen melancholischen Dichter. Das
ist das Thema, das Holitscher in einem persönlichen Stil er-
zählt, den nicht jedermann verträgt oder der sich wenigstens
beim lauten Vorlesen des Buches nicht bewährt. Beim stillen
Lesen entdeckt man die feineren Eigenschaften des Werkes,
dessen Held nicht umsonst Selber heisst. Selber kennt Ho-
litscher die Welt seines Buches aus eigenem Erleben, aus eige-
nem Erleiden. Aber man merkt, dass er TOn ihr nicht um-
garnt ist. Er hat sich abseits gestellt, und bei allem Zauber
dieser geistigen internationalen Gesellschaft hat er gespurt, dass
ihre Schmerzen und ihre Begeisterungen Ironie verdienen. Und
so, ironisch nachsichtig, ein wenig schmerzlich, und in unge-
brochenen Gefühlen nur dort, wo der wirklich grosse Künstler,
ein norwegischer Maler, auftritt, erzählt er das „Abenteuer^.
{Der Bund, Bern)
Ein Buch reicher Anregungen, voll helläugiger Gedanken
und verschwiegener Empfindungsrätsel ist Arthur Holitschers
„Das sentimentale Abenteuer". Mit einer kühlen Schärfe, der
keine groteske Linie entgeht, zeichnet der Autor die Welt jenes
Cafehauskünstlertums, das jede eigene Regung, jeden eigenen
Gedanken wie ein Wunder bestaunt, von dem der Kunst nun
die Erlösung kommen müsse. In diese Welt stellt er zwei
Sondergestalten, einen Literaten — wohl nicht ohne Züge des
Selbstporträts — der aus dieser Kulissenwelt zu einem grösseren,
und gesünderen Dasein wachsen möchte, und ein 'Weib, voll
seltsamer Neigungen und tiefen Heimlichkeiten des Gefühles.
Sie gehört dem einzigen, wahren Künstler, von dessen Bild in
diesen Kreis nur ein drohender Riesenschatten fällt. Wie
Senger, der Literat, dieses Weib aus dem Banne des Grösseren
wohl gewinnen, aber nicht halten kann, ist in einer eigenen
Melodie mit lockenden Untertönen einer wahren Sehnsucht und
doch nicht ohne durchklingende Selbstironie erzählt.
{Wiesbadener Tagblatt)
Bnchdrackerei Boitsfch, Alb«rt Schills«, Roituoh.
THE BORROWER WILL BE CHAROFn
ANOVERDUEFEE IFTHISBOÖK^s So?
RETURNED TO THE LIBRARY ON OK
BELOW. NON-RECEIPT OF O VERDI JF
NÖTIGES DOES NOT EXE MPT THE
BORROWER FROM OVERDUE FEES
hm^fAi
^ rri'*'i'4V%','
j ■ r « t f
i'.*j.%
i.^.l iTi't
:!:^''Ä'';-,
;:^;';'M*;*;' ■:
kl 11
iSVl '».'•!
r'iS'»'
.'••'»'*"» ''j*'-"
1 i*i\'i;i'
i'*'«'i
M'J' '*
\»>!j*('t't i'.*
•i'E%*r%»W7»>>
»;•;■;':■'
».*, i.LK* .*:<:! i*
i'-iV;; :•'■■'■:'
;■'.>;■."*«•!•'.'.'.'.'
;'::;i;^;;; :!v ;
li;!:':!';::';';';
,>M''.'x;;;
1 * ii'l >l 1 1 1 ■Vif'«"'
'!-i';-:'';:>>?
."••;>.!;:;
»'.*^*
,» i i • **i','
ilc*^
•V!-;*!«y»sy.v
I^?;';.;!;!::';-:
*^^.' 1 ■ « ■ 1 1 1
i rill t
» i'i' 'i*
It
i 1 1 i* '
1
*;-:'>;*;-;*;
t'Mm
::;:;:>::i:
:>vii:'.-:=;-:^
;i|:;i
,vi''X'::;'
. •Is-'M'!;'*.'«'.;
iiiS^
?i:i:;i?vi':;S
:-;iS:ys!;ü
5'>;:;''i'i
.•^lus*;';^;;»;
i;;;;;J:W;;;:<:''
•:::'';::!■:.?.:.:.'
•iii'-x-
:>';■■
'.■:'\'r<']'>
l*>Wi!i'i***i'/
K:;;!,i:;^<r;-
Vi iS i . . . -V
•.Vlw>» iVS
5"<' •>'
I * r 1
t't'.*,v.t!i 1 1 t
m^M
Mfi
i'S;.;.
'i',V-%^\'.Vi
,;.;.'.:<>;'?;':•
i'»'i')*i'i'
m
•l'i:-.;MKs\
*::!>::;;
.'•'•■.V'.".*.'.».'
>%ü*;v>:t:t> •
■iWkW;:«
.■.;.. -i'.'.'W«^
.;.M-;i;ri;,'.'.'
■ • i 1 l't
'';':c^:l
'<i'k
1 iii'* i 1 i'
C*.'-* ' ■
m^.
'i'i^'iVi
•♦kfS 11 f i 1 1
" i i.vM
'i:t'i*^*H<*»,\»
.^^^^^*
'^'