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Full text of "Der Golem; Ghettolegende in drei Aufzügen"

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HARVARD COLLEGE 
LIBRARY 




FROM THB FUND GIVBN 
IN MEMORY OF 

GEORGE SILSBEE HALE 

AND 

ELLEN SEVER HALE 




in ^ 



„Iie.. 




Von Arthur Holitscher ist erschienen : 

Bei S. Fischer, Verlag, Berlin: 

Das sentimentale Abenteaer. Erzählung. 

Bei Albert Langen, München: 

Weisse Liebe. Roman. 

Der vergiftete Bronnen. Roman. 

An die Schönheit. Trauerspiel. 

Von der Wollust und dem Tode. Novellen. 

Bei Marquardt & Co., Berlin: 

Charles Baudelaire. (Band XU. Die Literatur.) 

Leben mit Menschen. (Band XIII. Die Kultur.) 




Der Golem 

Ghettolegende in drei Aufzügen 

von 

Arthur Holitscher 



S. Fischer, Verlag, Berlin 
1908 



W'3C.'^S.)30 



HARVARD^ 
INIVERSITY 
I ( R A RY 
DEC 9 1943 



M^. 



Alle Rechte vorbehalten. Den Bühnen gegenüber 
Mannskript. Das Recht der Anfiühmng ist nur von 
S. Fischer, Verlag, Berlin W., Bülowstr. 90 za erwerben. 

Copyright 1908 by S. Fischer, Verlag, Berlin. 



Dem Andenken meines Vaters 



Personen : 

Rabbi Bennabum 
Seine Tocbter Abigail 
Sein Knecht Amina, ein Golem 
Raben Halbstamm, junger Kanfoiann 
Seine Schwester Taube 
Rahel, die Goldschmiedswitwe, mit ihrem Kind 
Der ehrwürdige Mar doch, Altester der Gemeinde 
Moschitzigy Narr 

Krüppel; Männer, Weiber und Kinder 
Schriftgelehrte, Schreiber und Schaler der Schrift 
Jünglinge und Mädchen 

Sechs Klageweiber; drei Judenmnsikanten; 
Ghettovolk allesamt. 

Spielt im Hause des Rabbi, im Ghetto einer Stadt Mittel- 
deutschlands, in alter Zeit. 



Der Schauplatz aUer drei Anif^üge ist die Diele im Hause 
des Rabbi. — In der Rückwand befindet sich links (vom 
Zuschauer) das Tor; es ist mit starken Schlössern und 
Riegeln versehen, eine Querstange lehnt an der Mauer daneben ; 
die Schwelle liegt tiefer als das Strafsenniveau. — Rechts ist 
in derselben Wand ein niedres, sehr breites Fenster aus 
undurchsichtigen Scheiben mit Holzläden davor. — Steht 
das Fenster offen, so sieht man auf einen düsteren, winkeligen 
Platz von mäfsiger Gröfse. — Unter dem Fenster läuft eine 
Bank bis in die rechte Ecke des Raumes, welche stets im 
Halbdunkel bleibt. — Knapp vor dieser Ecke munden die 
letzten Stufen einer morschen Holztreppe, welche in die 
Wohngemächer hinaufiuhrt. — Weiter vom rechts ein tiefer 
Kamin mit vorgebautem Rauchhelm ; im Kamin auf Eisen- 
böcken riesige Scheite Buchenholz, sowie verkohlte Strünke. 
— Eine kleine Bank, vom an der Wand. — Ganz vome 
rechts ein kaum mannshoher, mit einem auf Ringen gehen- 
den schweren Teppich verhängter Einlafs zur Geheimkammer 
des Rabbi, in der ein hochflackemdes Herdfeuer, Gläser, 
Tierbälge und Musikinstrumente von absonderlichem Bau zu 
sehen sind. — Links steht an die Mitte der Wand gerückt 
ein grofses Gestühl aus verräuchertem, geschnitztem Holz; 
hoher Baldachin; Tintenhora; auf dem Pult ein mit Eisen- 
ketten ans Holz befestigter Foliant; davor ein Stundenglas, 
sowie eine grofse Menorah -^ siebenarmiger Leuchter aus 
Kupfer, in dem sieben gewaltige Wachskerzen stecken. An 
der dem Zuschauer zugekehrten Seite des Pultes läuft in 
ganzer Höhe ein breiter Spalt mit verbrannten Rändern, ge- 
wellt, wie von einem Blitzschlag, zum Boden nieder, ans 
dem an dieser Stelle ein faustgrofses Loch herausgebrannt 
ist. — Zwischen dem Gestühl und dem Tor hängt ein me- 
tallnes Waschbecken und ein Tuch an der Wand. 



Erster Aufzug 



Nachmittagsstnnde. — Tor und Fenster sind zn. — Amina, 
der Golem, kauert, ganz in sich eingesunken, vor dem Vor- 
hänge rechts vom. Seine Gestalt stellt in diesem Augen- 
blicke einen Knäuel von Gliedmafsen vor. Er trägt die 
grobe Tracht eines Knechtes, Wams, Kniehose aus Leder, 
lange Strumpfe und breite Schuhe; seine Hände sind stark 
-und rauh; sein Gesicht ist bartlos und blutleer. 

Gedränge hinterm Tor; man h5rt Männer- und Frauen- 
stimmen; vereinzelte Rufe; vereinzelte Schläge ans Tor. 

Zeit ! Zeit ist I Lafs ein I Ruf den Rabbi ! 

Eine Stimme 
Mach auf das Tor, Golem ! Darauf Stille. Dann 

wieder steigendes Gemurmel: Lafs ein! Was läfst er 

warten? Was schafft er? Was ruft er ihn nicht? 
Ruf den Rabbi I 

Dieselbe Stimme 

Mach auf, Golem ! Stille. Dann ein Gewühl, ein 
Andringen, das Tor geht knarrend auf. 

Die Krüppel, 

Männer, Weiber und Kinder, sind oben, noch in der Gasse, 
erschrocken zurückgewichen. 
Aufgebrochen! Aufgebrochen das Tor ! Wer 
hat? *s ist aufgegangen! Aufgebrochen habt 
ihr ! Nein, seht her, das Schlofs ist heil ! Von 
selber, so wahr es einen Einzigen gibt, von 



II 



selber aufgegangen I Sie dringen sich, ganz leise aber 
mit harten Stöfsen in den Raum herab. Einige streichen 
mit der Hand über den Türpfosten, küssen sich die Finger 
danach; mit klagender Stimme: Zum Guten ! Ge- 
segnet dein Haus, Rabbi I Zum Guten über die 
Schwelle ! 

Ein lahmer Alter, 

der anf Krücken geht, kommt im Gedräng zu Falle; mehrere 

bücken sich, bemühen sich um ihn. 

Weh! Weh mir, ai, ail 

Ein Bursche, 

dessen Hände imd Arme bis an die Ellenbogen in Lein- 
wandfetzen gewickelt sind, drängt sich vor. 

Ein Buckliger 
Gerschon, ai, ai, hast dir wehgetan? 

Der Alte, 

noch anf Knieen, fuchtelt mit der Krücke nach dem Burschen. 
Die schlechten Kränken, Galgengesicht 1 Mit 
seinem wehen Finger ! An mir da ist kein Fleck 
gesund, die Milz und die Leber! Mufs er der 
Erste sein übern Kopf weg ! 

Der Bursche 
Woher weifst, dein Blut ist röter.? Vielleicht 
ist meins röter! 

Der Alte, 

nunmehr aufgerichtet. 

Bleib, wo du stehst! Er wird dich strafen! 



12 



Er wird dich zusammenschlagen wie alt Eisen ! 

Da einige ibn abstauben wollen, fcbütxend die HSnde aof 
sein Gewand. Rührt nicht ! Der Staub unter seinen 
Füfsen I Heilig der Staub, worauf er geht, der 
Heilige Gottes, Wunder tut der Staub I 

Ein altes Weib 

scharrt aaf Knieen Staub vom Boden zusammen. 

Eine Schwangere 
Gib, gib mir in die Hand 1 Für das Bett, 
für die' Kissen ! 

Eine 

mit verbundenem Aug', wirft sich nieder, berührt den Boden 
mit ihrer Binde, streift Staub in ein Beutelchen. 

Das ist was Kostbares; für die Augen, für 
das Herz! 

Das alte Weib 
Das ist ein Schatz, kannst Kinder ausgeben 
damit I 

Diese drei 
Glück über uns Elende, dafs so ein Heiliger 
geht unter uns! 

Eine Frau mit einem Knaben, 

den sie weinend knfst, kommt vor. 

Der Knabe 
Mutter ich fürcht mich! 

Die Frau 
Mein Herz, er wird dir die Hände auf die 



13 



Stime legen und gut wird dir sein für alle Zeit! 
Nein, in die Fremde zu geben solch junges 
Kindl 

Ein Alter, 

Beben ihr, kindisch eine Münze an einer Schnur schwenkend. 

Nur ein Wort von ihm, drübergesprochen, 
gegen den bösen Blick! 

Der Knabe 

▼erbirgt sich in den Rocken seiner Mntter. 

Ich furcht mich, Mutter ich furcht mich! 

Die Frau 
Wovor denn, mein Herz? Sind wir auf- 
gehoben wie nirgends in der bitteren Welt, hier 
in seinem Haus! 

Der Knabe 

anf Amina weisend. 

Mutter vor dem dort! 

Die Frau 
Es ist sein gröfstes Wunderwerk, es ist das 
Geschöpf, das er sich geschaffen hat ; nie wird 
es tun, was nicht der Willen des Rabbi ist; 
was hast du dich zu fürchten mein Kind, vor 
dem! 

Der Knabe 
Mutter ist der tot, oder schläft er? 



14 



Die Frau 
Kind, er hat keine Seele mitbekommen, nur 
den Gehorsam ! Nie hat ihn jemand sich regen 
sehen, wenn der Rabbi es nicht geschickt hat 
über ihnl 

Der Knabe 
Mutter komml Ich furcht mich vor dem 
Rabbi 1 

Einige Krüppel, 
voran der Lahme, der Bncklige, der Bursche, ^egen den Vor- 
hang rechts andrängend. 

Seht den Golem ! Was ist mit dem Golem ? 
Was regt er sich nicht? Was ruft er den Rabbi 
nicht? Den Rabbi soll er rufen! 

Der alte Lahme 
Komm heraus zu uns, Heiliger ! Lafs stehn 
den Herd drin, lafs stehn die Gläsclchen! Zu 
uns komm heraus, Heiliger Gottes, Jahrhun- 
dertsblum I 

Die Krüppel, 

Männer und Weiber. 

Grofsmächtiger, sieh nach den Schwachen 
und Zerrissenen! Rabbi 1 Gewaltiger! 

Amina, 

eine Bewegung geht durch seinen Körper, ändert aber seine 

Haltung nicht. 



15 



Die Krüppel 

drängen einige Schritte weit snrück. 

Rabbi Bennabum 

tritt ans der Kammer; hohe Gestalt, asketisch, mit wallen- 
dem Bart; in einen abgetragenen Kaftan von weifser Farbe 
gekleidet; er geht, das Gesicht der Kammer zugekehrt, wo 
ein hochlodemdes Feuer su sehn ist, einige Schritte weit 
taumelnd über die Bühne. Anfangs leise, dann steigend im Ton. 
Ist dir zu enge, in meinem Feuer zu woh- 
nen? So wirst du dich herausgeben in diese 
meine Hände ! Kein Buchstabe von deinem Na- 
men, kein Buchstab in deiner Schrift, der nicht 
aussieht, wie ein flammendes Feuer! — Ich 
werde sie herausreifsen, alle! Js^ mich mit 
deiner heifsen Peitsche, streu mir Asche auf 
Augen und Lippen 1 Heifst es erst — zu nah 
bist du mir gekommen, werd ich dir schon ge- 
bieten: — zurück! Zurück!! 

Die Krüppel, 

einige sind niedergekniet, haben sich die Binden von den 
Wunden gerissen. 

Mit wem spricht er, der Heilige ? Seht seine 
Augen an — wo schaut er hin? Was schaut 
er nicht herab auf uns ? Auf unsere Wunden 
und Gebreste? 

Rabbi, 

die Leute erblickend. 

Mein Tor ist aufgebrochen! Wie kommt 
i6 



ihr herein zu mir? Wer hat mein Tor aufge- 
brochen wider meinen Willen? 

Die Krüppel 

sind auf den Knien za ihm bingerntscht ; greifen nach seinem 
Gewands anm, den sie über Angen nnd Lippen fahren. 

Aufgesprungen, Rabbi, von selber ist es auf- 
gesprungen, dein Tor I Gott soll uns zertreten, 
wenns nicht wahr istl Von selber I 

Rabbi 

sieht sich um. 

Wo war er, den ich bestellt hab, das Haus 
zu hüten? 

Der alte Lahme 

Der Golem war nicht davor. Heiliger I Wo 
sollen wir die Kraft herhaben, zu verstofsen 
gegen deinen Willen? Der Golem hat nicht 
gewehrt ! Auf ist das Tor von selber ! 

Rabbi, 

indem er sich zwischen Amina und die Krüppel stellt, neigt 
er sein Haupt tief über den Scheitel Aminas herab; seine 
Lippen bewegen sich, seine Hände bilden mit gespreizten 
Daumen, die sich berühren, das Dreieck über der Brust 
Aminas. 

Herbei. 

Amina 

•erhebt sich steil, wie in die Höhe emporgezogen, mit nach 
hinten gebogenem Rumpf. 
Ich . . . bin . • . Die Stimme tonlos, doch stark. 



17 
3 Arthur Holitscher Der Golem 



Der Knabe 

zieht seine Matter nach vorn, weist mit einem kleben Schrei 
anf den Rabbi nnd den Golem. 

Der alte Lahme 

die Krüppel zurückpressend. 
Weg ! Macht zu eure Augen, wollt ihr blind 
werden ? 

Amina, 

er schlägt mit den Armen um sich, reckt sich mit Kraft» 
nnd storzt zom offenen Tor, unbehindert, weil die Krnppel 
sich rechts und links an die Wände gedruckt haben. Von 
der Gasse her ist, nach den Worten des Lahmen, ein rascb 
anschweUendes Geschrei von Frauenstimmen näher ge- 
kommen, das bald auf der Schwelle deutlich zu hören ist: 
Offen ! Offen steht das Tor ! Hinein in's 
Haus! 

Die Goldschmiedsvitwe 
kommt über die Stufen heruntergelaufen, ihr totes Kind^ 
ein fünfjähriges Mädchen, auf den Armen. Sechs zerfetzte 
Klageweiber folgen ihr. Die Witwe hat sich dem Golem 
entgegengeworfen, ihn mit Macht zurückgestofsen, jetzt bringt 
sie das Kind vom zur Rampe hin, bettet es anf dem Boden, 
die Klageweiber werfen sich im Halbkreis um das Kind 
nieder; die Witwe reust sich ein Tuch vom Halse und schiebt 
es dem Kind unters Köpfchen. 

Blümchen, dein Köpfchen, liegst du mir gut? 

Die Krüppel 

schieben sich die Wände entlang zum Tor; in halblautem 

entsetzten Gemurmel. 

Eine Leiche ! Ein Leichnam im Haus 1 Un- 



i8 



rein! Wer ist's? Aschers Blümchen, Raheis 
Kind! Ein Totes, ein Totes! 

Einzelne 
Unrein 1 Ein Totes ist im Haus ! Unrein 
ist das Haus 1 

Die Witwe 

drängt alle zum Tor hinaus, die Klageweiber mit. Sie 
schliefst das Tor geräuschvoll zu, kommt znrück. 

Rabbi, 

die Hand gegen Amina ansgestreckt, der ihrer Bewegung 

wie gebannt zu folgen hat. 

Zum Feuer du 1 Das Feuer soll mir brennen 
bleiben I 

Amina 

in die Kammer ; man sieht ihn vor dem stark auflodernden 
Feuer mit grofsen Schritten kommen und gehn. 

Die Witwe 

ist vor dem Kind hingekniet, richtet dem Kinde das Haar, 

das Kleid. Sie ist mit dem Rabbi und dem Kind im Raum 

aUein. 

Es ist doch mein Einziges, ich bin doch 
Rahel, die Witwe von Ascher, vom Goldschmied l 

Sie steht auf, sieht sich lächelnd um, wie irrsinnig, kniet 
gleich wieder hin und spricht zärtlich zum Kinde. 

Rabbi 
Dein Kind ist tot, Rahel 1 Wer hat dir ein- 
gegeben die Gewalt, dafs du meinen Knecht 

19 



hast taumeln machen? Wer hat dir befohlen, 

mir ein Totes herein zu bringen, durch mein 

Tor? 

Witwe 

Wer mir befohlen hat? Pause; lie schüttelt den 

Kopf als verstünde sie nicht. Ich hab nicht gerufen 
die Klageweiber, von selber sind sie zu mir 
gekommen. Auf das Kind weisend. Hab ich ihr 
vielleicht ein weifs Kleidlein angezogen? Hab 
ich daheim das brennend Licht hingestellt, das 
Wasserglas? Rabbi, was sagst du mir armem 
Weib: das Kind ist tot, das Kind ist tot — 

Rabbi 
Hüte deine Worte, Rahel, du sprichst wie 
eine Gottlose! 

Witwe, 

aufschluchzend. 

Wie soll ich an Gott glauben ? Er hat mir 
alles genommen. An dich glaube ich, Rabbi, 
an dicht Du wirst es mir zurückgeben. 

Rabbi 

weicht gegen den Vorhang der Kammer zurück, den er mit 

der Linken zuschiebt, so dafs die Kammer verhüllt ist; die 

Rechte hat er abwehrend erhoben. 

Was sprichst du für ein Wort aus! 

Witwe 
An dich, an dich, nicht an ihn! Deine Hand, 

20 



Rabbi I Du wirst sie meinem Kind auf die 
Augen legen und sie wird die Augen aufschla- 
gen und sprechen: Mutter 1 Deine Hand, Rabbi! 

Rabbi 
Rahel, wenn da ist ein Totes im Haus, hat 
Gott ein gut Gehör! Wer hat dir befohlen, 
dafs du mir in mein Haus sollst kommen und 
ihn lästern und ihn versuchen! 

Witwe 
So sprich zu ihm, sprich zu Gott, Rabbi. 
Er kann doch nicht wollen, dafe das Kind vor 
der Mutter sterben soll ? Er ist doch kein Narr, 
dein Gott? Du mufst sprechen — nein, sprechen 
nicht ! Rabbi, du Wunder des Zeitalters, Licht 
im Exil, erwecke mein Kind I Erwecke ! 

Rabbi 

Wer bin ich, dafs du mit solcher Red' zu 
mir kommst? Bist du unmündig? Bist du von 
Sinnen? Kennst mich denn nicht, siehst mich 
denn zum ersten Mal? Hab ich mein Weib, 
mein eigen Weib erwecken können, wie es mir 
weggestorben ist? 

Witwe 

Frieden mit deinem Weib, Rabbi ! O könnte 
man doch den Staub wegräumen über ihrem 
Auge ! 



21 



Rabbi 
Ist es recht von Gott vielleicht, dafe die 
Mutter in der Stund sterben mufs, wo sie ein 
hilflos Kind in die Welt bringt ? Ist das recht 
von Gott, sa^ ? — 's ist recht, sonst hätt er es 
nicht getan. Ist nicht all mein Gebein erbebt 
vor zu grofeem Schmerz, wie er es getan hat? 
War da die Lampe nicht erloschen und das 
Licht nicht verdunkelt? Es heifst tragen und 
Gott loben. 

Witwe 
Rabbi, getragen hast du, aber gelobt — ge- 
lobt hast du nicht 1 Gelobt hast du nicht ! Nicht 
fürchte ich mich vor deiner Hand, und wenn 
du sie noch so hoch tust auifheben. Was kann 
mir geschehn? Zerschlagen kannst du mich; 
was ist mir die Welt? Er kann sie behalten, 
seine Welt, die er geschaffen hat. So lob ich 
deinen Gott. 

Rabbi 
Gib mir ab, was du zuviel hast an Schmerz 
in dir. Ich will es zermahlen zwischen dem 
Herzen und dem Gehirn; ich will beten für 
dich, Rahel, Ruhe wird über dich kommen und 
du wirst gehn und die Gräser begiefsen auf 
dem Hügel! 



22 



Witwe 
spriogt auf, geht heram, zwischen Weines und Grelichter. 

Dein Gebet! Ich brauche dein Gebet nicht! 
Was wirfst du mir ein Almosen hin? Bist du 
so arm geworden, dafs du nichts zu geben hast 
als ein Gebet? 

Rabbi 

Mitleid darf ich mit dir haben ! Mein Herz 
tu ich dir gutwillig auf, mein Tor hab ich nicht 
gutwillig aufgetan vor dir; das Haus gehört 
dem Herrn über Tod und Leben an, das ver- 
gifs nicht, so lang du hier stehst I 

Witwe 
So war es der Wille des Herrn über Tod 
und Leben, dafs das Tor soll offen stehen, 
wenn ich komme ! Was hast du nicht gewirkt, 
dafs ich umsonst rüttle an dem Tor? Wo warst 
du daweil? Wo? — Rabbi, du lobst ihn! Und 
wer hat mir befohlen, hereinzustürzen zu dir 
— so geht deine Rede! Was weifs ich, ich 
hab nichts mehr zu verlieren, und wenn der 
Himmel einstürzt über mir, ich werde sprechen 
vor dem dort oben, Rabbi, hier in dem Haus. 

Rabbi 

hat sich zum Kind geneigt, hält die Rechte über die Aogen, 
die Linke nber den Schofi des Kindes. 

Die Toten wird er aufwecken am Tag des 



^3 



Gerichts ; zwar, was ist da viel zu richten über 
ein Kind? Lacht er nicht über das Unrecht, 
das er tut? Dem Menschen gibt er ein Ge- 
heimnis mit, davon soll der Mensch leben, und 
zieht es wieder heraus aus ihm, und der Mensch 
kann nicht weiterleben. Sein Geheimnis ! Er 

kniet nieder und blickt dem Kind ins Antlitz. 

Witwe 
Wem willst du das sagen, du hast nichts 
wie Gebete zwischen dir und deinem Gott, der 
dir angetan hat das Fürchterliche, und mir an- 
getan hat das Fürchterliche? Dein Feuer drin, 
deinem Gott zu Ehren hast du's angezündet ? 
Sie lacht auf; stark. Schick dein Feuer über mich ! 
Schick dein Geschöpf, das dir dein Feuer an- 
schürt, schick es über mich! Und wenn ihr 
zusammen so stark seid, wie der Leviathan, 
nicht wird mir die Angst lähmen meine Zunge 
Rabbi! 

Rabbi 

leise, sehr betont. 
Im grofsen Feuer lebt er, dafs man nicht 
kann bestehn vor ihm ; Asche läfst er herunter- 
regnen auf Hand und Lippen, wenn man auf- 
schaut in sein Angesicht. Was zieht er das 
schwach Feuerlein aus dem armen Gehäus, und 



24 



schlägt damit herunter auf die lebenden Augen, 
da(s sie sich entzünden von zu starkem Weinen ? 

— Anpacken das Feuer, wer das könnt, dafs 
es die Gewalt verspürt 1 Zurück giefsen in das 
Gehäus, das verlassen ist! Oder verbrennen 

auf einmal ! Er hat den Kopf des Kindes zu sich ge- 
hoben, und hat sich auf den Knieen ein wenig angerichtet. 

Witwe 
Rabbi, was bin ich ? Ein einfältig Weib I 
Woher kommt mir meine Rede ? Aus meinem 
Schmerz herauf, daher, woher dir deine Gewalt 
kommt. Rabbi hast du nicht von dem Tag ab, 
wo dein Weib dir weggestorben ist, deine Ge- 
walt aufgehoben gegen Gott ? Dein neugeboren 
Kind, du hast sie Abigail doch nur benannt 
vor den Menschen , aber vor Gott hast du 
ihr den Namen Pniela gegeben, Pniela, nach 
dem Ort, wo Jakob hat getroffen den Engel: 

Ich lafs dich nicht? Sie kommt ganz nahe zn dem 

Kind heran. Rabbi, du, der du der Meister bist, 
der mit dem Blick heilt und mit dem Wort, 
bist du nicht sodann eine Stufe hinaufgestiegen 

und hast dir geschaffen — mit beiden Händen nach 

dem Vorhang 'weisend das Geschöpf, das Geschöpf 

dort drinnen — sie länft zum Vorhang, sieht ihn weg 

— das Geschöpf — 



25 



Amina 

erscheint im Tünasfchnitt. Die Kammer ist dmikel, das 
Feuer erloschen. 

Witwe 

schreiend. 

— aus Erde, aus Lehm! Und hast ihm 
auf die Brust gebunden das Amulett mit dem 
Namen von dem dort oben, mit dem heiligen 
Namen, dem geheimen Namen, so dafs er ist 
wie ein Mensch, und sich regt wie ein Mensch 1 1 

Sie bricht erschöpft zusammen. 

Rabbi, 

ist angesprungen. 

Dunkel ist der Herd, wo ist das Feuer auf 
meinem Herd ? 

Amina 

zieht den Vorhang zu hinter sich. 
In die Höhe fort das Feuert 

Rabbi 
Fort ? — Also ist gesagt : Eins mufs sterben. 
Tritt vor die Witwe hin. Rahel, ich sprach ZU dir: 
was bist du gekommen } Hör meine Rede, Pest 
und Eiter ist das Gehäus, verlassen ist das Ge- 
häus und die neuen Bewohner warten auf Ein- 
lafs — zieh mit deinem Kind, Rahel, gut rat 
ich dir, unter meinem Dach fort zieh und ver- 
weil nicht länger. 

26 



Witwe 

wirft sich nieder. 

Du wirst dich entsinnen, Rabbi : mein Ehe- 
gemahl, er war doch dein Freund, weil der 
Reiche mit dem Weisen gehn soll in der Ge- 
meinde. Er hat mir alles hinterlassen, du weifst. 
Ich hab's ^ergröfsert, ich hab dazu erworben. 
Rabbi, die Leute sagen, du hast den Knecht 
erschaflFen, weil du arm bist, und dem kommt 
seine Kraft nicht aus Speis und Trank, und 
Lohn, sondern aus dem Amulett, aus dem Na- 
men von dem grofsen fürchterlichen Gott, den 
du ihm auf die Brust gebunden hast. — Rabbi, 
alles was ich besitze, gehört dir ! Knechte und 
Mägde wirst du haben, dein Kind eine Aus- 
steuer, nur — auf Amina weisend, schreiend nimm 
ihm fort das Amulett, leg's meinem Kind auf 
die Brust 1 

Rabbi, 
leise. 
Und wenn dir nicht umgetan wäre dein 
töricht Schellenkleid von Gold und Edelstein 
und allen Gütern der Welt! Ich hab dich er- 
kannt! Nicht das Verlangen der Elenden und 
nicht das Flehen der Verwaisten — was bist 
du für ein Geist, der sich eingeschlichen hat 
in das Haus? 



27 



Witwe 
Ihm fort! Erwecke 1 Erwecke mein Kind! 

Rabbi 
Rahel, mein Tor hast du aufgebrochen und 
mein Feuer hast du ausgeblasen ; zieh mit dem 
Toten, damit ich beten soll können — für uns 
beide I 

Witwe 
Erwecke das Tote! Erwecke das Tote! 

Taube und Abigail 

kommen furchtsam blickend die Treppe herunter. 

Taube 

läuft Zur Witwe, kniet neben «dem Kind nieder. 

Blümchen ! Kalt ist dir ! Kalt sind deine 
Wangen ! 

Witwe, 

in sich zusammensinkend. 

Rabbi, du hilfst Leuten, die von tausend 
Meilen weit herkommen, und willst nicht einem 
armen Weib helfen, das mit dir wohnt in der- 
selben Gasse! 

Abigail 
hat ihr buntes Seidentüchlein ühers Treppengellnder ge- 
worfen, ISuft auf Zehenspitzen zu Amina, spricht leise» 
stampft dann zornig auf. 

Ei recht, wenn sie von dir sa^en: das Tier! 
Was siehst du mich an als wie ein Hund, der 

28 



Schläge bekam ? Sieh mir nicht so ins Gesicht, 
ich will nicht ! Wer hat dir Böses getan ? Wer 
darf dich beschimpfen im Haus? O, die dort? 
Zur Witwe. Du ? Du warst es , die ihm Böses 
getan hat? 

Rabbi, 
umarmt sie, drängt sie zur Treppe znrfick. 
Nicht darfst du hier verweilen, mein Blut! 
Ein Totes ist eingekehrt 1 Nicht mit dem Toten 
dcufst du sein unterm Dach! 

Witwe 
wirft sich vor die Treppe hin. 
Herzchen, Abigail, kennst du sie denn nim- 
mer? Blümchen ist's! Hast doch oft und oft 
gespielt mit ihr, beim Brunn, beim Stein 1 Hab 
ich nicht ein Deinen Knecht schick 
über sie! 

Der erste Gelehrte 

zieht die Leute um sich. 

Seit wann ist es gefallen über ihn, dafs er 
sich bedünkelt, grofsmächtig zu sein wie der 
Fürst von Babylon? Nunrat's! Mit beiden Händen 
aaf Amina zeigend. Seit er den dort hat an seinem 
Herd sitzen! Nun denkt er sich: hab ich schaffen 
können dies Geschöpf, kann ich auch erwecken 
das Tote! Warum nicht, ich kann alles! 
Der zweite 

Das, das braut jetzt auf seinem Feuer drin ! 



39 



Der erste 
Nun sagt: kann der Herr über uns wollen ^ 
es soll einer schaffen nach seinem Ebenbild 
solch ein Geschöpf? Ein Geschöpf, nicht aus 
dem Stoff vom Menschen , und nicht mit der 
Seele vom Menschen und das doch hat das 
Aussehen bekommen von einem Menschen! 

Der Rothaarige 
Wer traut sich auf den Golem zu zeigen 
und zu sagen: er ist ein Mensch? 

Die Ghettoleute 
Schtl Schtl Was schreist du? Nicht so 

laut! 

Der Rothaarige 
Laut oder leise! Sagt es doch! So wahr 
wir einen Einzigen haben, eure Köpf habt ihr 
im Mondschein gesehn 1 

Der Schüler 
Mekassim , die Bücher werf ich euch vor 
die Füfsel 

Der erste Gelehrte 
Wer hat Mensch gesagt? Er ist kein Mensch,, 
er ist kein Tier, er ist kein Knecht und kein 

Geschöpf, sondern mit den Händen zeigend er ist 

die Form, und das Gehäuse, vollgeschüttet und 
angefüllt von unten bis oben mit dem Rabbi 



40 



seiner Hochmütigkeit , seiner Hochmütigkeit 1 
Er schlägt sich zurück zwischen die Leute ; alle retirieren 
zum Tor. 

Der Rothaarige 

wirft sich auf den Boden, trommelt mit den Fäusten. 

Hui, der Knebeil Würgt mich die WutI 
Einen Funken vom brennenden Busch über 
sie! Wofür bist du grofs wie Og und stärker 
als Schimschon , wenn du bleibst in deinem 
Kammerl innen, so als wärst du mit Blödheit 
geschlagen auf den Kopf und nicht kannst auf- 
tun dein Maul gegen die Widersacher !j 

Die Ghettoleute 

zerren, stofsen ihn mit Füfsen. 

Den Geifer in deinen Hals zurück, du roter 
Hund, Kotsack! Haut ihn, werft ihn auf die 
Gasse, er beleidigt die Lehrer, er beleidigt den 
Heiligen der Gemeinde! 

Der Rothaarige 
Ai, ai, sie hauen mich, sie stechen mich, 
ich bin geschlagen, ich bin tot. 

Rabbi, 

aus dem Vorhang tretend. 

Taub geboren sein war besser! Nichts zu 

hören, nur den Tumult in der eigenen Brust 

drinnen ! Weh, wenn einer ist in seiner Kammer 



41 



allein mit dem Geist und tritt aus seiner Kam- 
mer heraus. Das Gewimmer schleppen sie mir 
herein von den Krankenbetten, und das Ge- 
schrei vom Markt und vom Freihof 1 

Amina, 

geduckt gegen die Leute los, die in heller Angst fliehen. 

Die Ghcttoleute 

znm Tor hinaus. 

Der Golem! Der Golem über uns! 

Im Räume bleiben : Der Alteste, im Halbdunkel 
kaum zu sehen , und Rüben, mit verschränkten Annen 
immer auf demselben Platz. Der Rabbi geht mit erhobener 
Faust auf ihn zu. A m i n a hat das Tor zugeschlagen und 
nähert sich mit drohendem Murren. Der Rabbi erkennt 
Rüben, der den Kopf hebt, und läfst deo erhobenen Arm 
gegen Amina zu niedersinken. Amina, seiner Kraft beraubt, 
sinkt gleichsam in sich zusammen, und schleicht, einer Hand- 
bewegung des Rabbis folgend, wie von ihr geleitet, aber 
immer mit dem Blick auf Rüben, nach hinten und ver- 
schwindet hinter dem Vorhang. Es dunkelt stark. — 

Rabbi, 

erst stockend, dann warm. 

Rüben 1 Du bist's ! Gespiel meines Kindes ! 
Bruder der sanften Taube 1 Du bist es, Rüben I 

Rüben, 

zu Boden blickend. 

Rabbi, du hast mich wohl erkannt. 



42 






Rabbi 
So lafs dir küssen den Willkomm auf den 
Mund, Rüben I Aber wie geschieht es : du bist 
in der Heimat und Taube ging von hier und 
wufste nichts zu sagen? 

RuT>en 
Ich hab mein Pferd in der Christenstadt 
eingestellt, in der Herberg steht mein Pferd, 
ich bin nicht im Elternhaus abgestiegen. Wie 
ich hergekommen bin, weifs ich kaum, es hat 
mich gepackt mit einem Mal und ich mufste 
mich nach der Heimat aufmachen ohne Be- 
sinnen. Ich hab nicht gerastet auf der Reise, 
nicht bei Tag und nicht bei Nacht. Mir war 
nur eins bewufst: rasch hier eintreffen, zur 
Stund hier eintreffen. 

Rabbi, 
bewegt. 
So führt es dich in meine Arme, Rüben, 
zu dieser Stund! 

Rüben 
Ich mufs es wohl gestehn, es war mir nicht 
zur Sehnsucht im Herzen, sondern gar sehr 
zur Unruh. Offne Arme haben mich nicht ge- 
lockt, auch hab ich die Stadt so wiedersehn 
wollen, wie sie ist. Wie ich geworden bin in 



43 



der Zeit und wie sie geworden ist in der Zeit 
Nun, ich habe die Stadt gesehn. 

Rabbi 
Du darfst schon in meine offenen Arme 
einkehren ohne Scheu, Sohn Isails, der seiig 
ist in den Gefilden 1 Umarme mich, Sohn, der 
du zugedacht bist vom Willen der Väter mei- 
nem Kind Abigail, das ich erzogen hab für 
dichl Segnet Gesegnet, der da gekommen ist. 
— Du schweigst? Hast du den guten Brauch 
vergessen ? Den Spruch ? Den Segen auf den, 
der sich hier befindet? 

Rüben 
Ich habe die Bräuche nicht vergessen, Rabbi. 
Argwöhne nicht, ich wäre ungetreu worden dem 
Glauben im fernen Lande — er hebt die Augen 
zum Rabbi und wenn's mir auch schwer gemacht 
worden ist, ich habe angekämpft und nicht bin 
ich ungetreu geworden. Aber sollt ich just in 
der Stunde, da ich bei dir eintrat, sprechen: 
gesegnet I — ich fürchte, die Stimme würde 
mir's lügen schon in der Brust drin. 

Rabbi 
Weil du mit jenen Armseligen hereinkamst 
zu mir? Rüben, wofür leben wir im Exil? 
Hillels Geduld ist nicht verschwendet an die 



44 



Menschen unsres Stammes, und wer da will 
Ruhe haben, fürwahr, der Mann mufs aus dem 
Stein gesprungen sein 1 Geduld mit der Heimat, 
Rüben, und die Schwelle ist gesegnet, über die 
dein Schritt gegangen ist. 

Rüben, 

nach dem Vorhang blickend, durch den Amina ging. 

War mir damit nur fortgenommen, was ich 
hereingebracht habe über diese Schwelle! 

Rabbi 

Und der Tag selbst ist ein Tag des Segens, 
weil er dich zurückbringt, dorthin, wo du einst 
bist ein Kind gewesen und wo du sollst ein 
Mann sein. Darum sei auch der Tag gesegnet 
und gesegnet. 

Rüben 

Was kann ich für dich denn heifsen, Rabbi ? 
Du bist als der Grofse gepriesen in den Län- 
dern und fühlst doch für mich, der ich nichts 
bin, wie fLir deinesgleichen? 

Rabbi 
Eine gar mächtige Gewalt ist beschlossen 
darin, was die Väter für ihre Kinder bestimmt 
haben 1 Der lebendige Gott ist einbeschlossen 
darin, Rüben, darum mufst du den guten Ge- 
danken verspürt haben , den ich auf dich gc- 

45 



richtet hielt, damit du wissen sollst, du bist 
hier der Erwartete! Das war die Unruh, die 
dich hergejagt 'hat, über alle Flüsse und Berge 
her, damit du bei mir eintretest zur Stunde! 

Rüben 
Rabbi, du lobest die Stunde, in der ich bei 
dir eingetreten bin ? Und ist doch deine Stund 
und nicht die meine! Die Stund, in der das 
Gröfste und Gewaltigste zu dir hereingebracht 
und an dich herangetreten ist! 

Rabbi 
Rüben, ich will zu dir sprechen wie nie ein 
Vater zu seinem Sohne sprach. Rüben, vom 
Herd da drin ist mir das Erkennen aufge- 
flammt in diesen Stunden, und von der Schwelle 
ist zu mir hereingestürmt die Versuchung 
in diesen Stunden. Und ich steh da zwischen 
zweien grofsmächtigen Feuern und ich seh mich 
um: aber da ist kein Helfer, ich blicke hinter 
mich, da seh ich, ich bin allein! 

Rüben 
Dann mufs dir dein Gott, Rabbi, eine schwere 
Pein bedeuten! 

Rabbi, 
seine Hände fassend. 

Sagen will ich dir's: wenn einer ist mit Gott 
46 



allein gelassen — ist das eine Gesellschaft für 
einen Menschen ? Nun, so wenig als wie wenn 
einer mit der Welt allein ist ohne Gott ! Rüben, 
soll ich nicht lobsingen in der Stunde, die mir 
dich zufuhrt, der meinem Freunde der Sohn 
war und der meinem Kinde soll in Kraft und 
Leben der Ehgemahl werden und mir der Sohn 
und der Nächste durch den Willen der Väter ? 
Soll ich die Stunde nicht preisen, in der ich 
wieder fühle, wie ich zusammengewachsen bin 
mit der Welt und nicht allein bleiben mufs mit 
ihm in der Höhe, gefürchtet sei sein Antlitz! 

Rüben 

Rabbi, es soll mir also werden das höchste 
Glück und der höchste Ruhm in Israel, dafs 
ich dem Kinde Bennahums verbunden werde. 
Rabbi, dessen bin ich mir wohl bewufst ; doch 
sagte ich: wer bist du und wer bin ich, und 
ich bin nichts. Willst du mir zuhören, eh du 
den Tag segnest und die Stunde um meinet- 
willen? 

Rabbi 

Rede, Rüben, mein Herz hört dir zu voller 
Zuversicht. 

Rüben 

Dumpf hat es mich hergetrieben, über den 
Rhein, über den Main, bis zu deiner Schwelle. 

47 



Oflfenbar ist mir 's geworden, seit ich hereinge- 
treten bin, Rabbi : der du der Mächtige geheifeen 
bist, ich ahne es: ich verstehe es so gut wie 
du, wie die Macht gewonnen wird über die 
Menschen alle. Hab doch selber Bücher wie 
du und bin nur ein Kaufmann. Bücher mit 
magischen Zahlen darin und mit Ketten darum, 
an denen hängen angebunden Jud und Christ. 
Rabbi, du zürnst mir? 

Rabbi 
Was sollt* ich zürnen, Rüben. Seh ich doch 
hinter deinen Worten stehen den. klugen Meister 
Gott, der die Jugend gemacht hat und die Welt 
solchgestalt verwandelte vor ihr, dafs sich sehend 
dünkt die Blindheit und Lachen ist auf den 
Brücken. Sprich weiter, Rüben, was ist dir 
für Kunde von der Macht über die Menschen 
alle? 

Rüben 
Wie du vor mir stehst, bist du noch be- 
schienen vom Feuer, das du angefacht hast 
auf deinem Herd. Rabbi, versteh, wie schwer 
es mir ist, dir ins Gesicht zu schauen ; wenn ich 
meine Augen von dir abkehre, Rabbi, acht es 
nicht als Unbotmäfsigkeit vor deinem Angesicht. 
Tief atmend. Gut wdfs ich CS, Rabbi, wer die 
heimlichen Orte und Mittel kennt und hält sie 



48 



geheim, der ist der Mächtige über allen. Rabbi, 
ich hab auch nennen hören ein Kraut Balis aus 
fernem Lande, womit man kann die Toten 
wecken. Rabbi, ich weifs auch, es ist gut, sich 
«in Wahrzeichen seiner Gewalt aufzurichten, 
dafs die Menschen erinnert werden an diese Ge- 
walt zu jeder Frist — und mag dies Wahrzeichen 
nun die Gestalt haben von einem Berg von Gold 
oder von einem Schwert aus Eisen oder aber 

— er zeigt nach dem Vorhang von einem Wesen, 

einem Geschöpf, wie dem, das von hier ging . . . 

Rabbi 
Nicht Unruh ist's, die in dir gärt, Rüben, 
und auch die Jugend ist es nicht. Schlimmer 
Aufruhr ist am Werke in deinem Herzen, Rüben 
red nicht weiter zu mir! An die Gräber der 
Eltern sollst du gehn, Ehrfurcht und Stille dir 
holen, voü den Gräbern her sollen sie dir im 
Ohre klingen, Erfurcht und Stille, eh du weiter 
redest zu mirl 

Rüben 
Vorüber bin ich gekommen an den Grab- 
stätten der Eltern, Den Acker hab ich nicht 
erkannt. Ein Berg 1 Übereinander türmen sich 
die Gräber, eng, eng, nicht viel Raum ist den 
Toten gegeben zur Ruh! 



49 

4 Arthur Holitscher, Der Golem 



Rabbi 
So sind sie näher zu Gott ! So sind die Väter 
im Himmel näher zu ihren Kindern, wenn sie 
beten kommen I 

Rüben 
Auch für die Lebenden ist nicht viel Raum 
zu atmen in der Stadt . . . Gitter aus Holz, 
aus Eisen, Gitter habt ihr gemacht überall, 
Rabbi, in deinem Haus — die Brust ist mir 
wie eingemauert in deinem Haust 

Rabbi 

ergreift seine Hand. 

Könnt ich dich denn nicht, hier, die Treppe 
hinaufgeleiten zu dem Raum, der höher liegt? 
Von wo du magst über die Welt blicken und 
weiter als das Meer in Holland I Ist das nicht 
die Stadt der Braut, wohin du zurückgekehrt 
bist? 

Rüben 

Rabbi, so nannte ich sie auch in der Fremde, 
Nicht die Stadt der Kindheit und nicht die Stadt, 
wo die Eltern liegen. Die Stadt der Braut, so l 
Und hab sie weiter so genannt, obzwar sie einen 
grofsen Ruf gehabt hat als die Stadt des mäch- 
tigen Rabbi, als deine Stadt, deine! Und was 
könnte mir für ein gröfseres Gut beschieden 



50 



sein, als dein Kind zu freien wie ein still züch- 
tig Wesen, von dem kein Aufhebens ist? 
Dennoch, Rabbi, dennoch : tausendmal lieber 
hätte ich die Stadt nennen gehört die Stadt der 
schönen Abigail, als so, wie ich sie zuletzt hab 
nennen hören — Stadt des Golems 1 Und nicht 
hab ich fürder denken können an die Stadt der 
Kindheit und nicht an die Stadt der Liebe, nur 
an Golems Stadt, an die Stadt der Rechen- 
schaft! 

Rabbi 
Die Rechenschaft — gern will ich sie dir 
geben, mein Sohn! Sind doch die schonen 
Märchen die Rechenschaft so man den Kindern 
gibt. Willst du sie hören wieder alle, von-4<w^ 
Glock Lamuz, die gereist ist ins Land, wo der 
Sabbat anfangt ? Und von Methusalachs golde- 
ner Pfanne mit dem heiligen Manna darin? 

Rüben 
nacb dem Tor weisend. 
Gut genug müfsten dir deine Märchen sein, 
um die dort hereinzulocken und hinauszuscheu- 
chen, die du verachtest 1 Aber ich, wenn ich 
der Erwartete bin, was soll mir dein Märchen? 
Furcht mich nicht im Dunkeln! 
Rabbi 
Erzählen werd ich von den Vorfahren im 



51 



Lande der Sklaverei, wie sie den Ton geknetet 
haben und gestampft den Lehm zu Pithom und 
Rhaamses flir die Bauwerke, und wenn die 
Aufseher geschlafen haben im warmen Sand, 
wie da die Sklaven sind beisammen gehockt 
und haben sich insgeheim erzählt von Be- 
freiung und Recht, und haben sich Gebilde 
gemacht von Lehm, von demselben Lehm, und 
die Gebilde sind lebendig geworden von ihrem 
Zorn und Leid und haben nun gemufst dienen 
den Sklaven als wie Sklaven! 

Rüben 
Rabbi, uns hat man es nicht erlaubt, dafs 
wir bei den Festen tanzen mit den Mädchen, 
weil es hiefs : Hand bei Hand bleibt nicht rein I 
Und wir waren doch Kinder, und nicht gröfser 
als so! Und jetzo — hab ich ihn gesehn, den 
Golem, im selben Haus lebt er mit ihr, die 
mir versprochen ist — Rabbi, wie weifst du es, 
ob nicht der böse Trieb plötzlich da ist zwischen 
ihnen ? 

Rabbi 

Ist noch nicht zu Ende mein Märchen, denn 

es heifst : die Gebilde sind hingegangen zu den 

Töchtern, tapp und klebrig der Lehm von den 

Föfsen auf dem lehmigen Boden — aber die 



52 



Töchter haben gemerkt, dafs kalt sind die Hände 
und kein Glanz ist in den Augen, und wenn 
sie nach den Armen der Gebilde geschlagen 
haben, so sind die Arme abgebrochen jwie Lehm, 
und aus den Gezeiten, wo die Töchter waren, 
da kam Lachen her und es mag geschehn, die 
Amme, wenn sie so weit ist im Märchen, so 
hält sie ein und lacht auch über ihr eigen Mär- 
chen . . . 

Rüben 
Ich will dir kein Märchen erzählen, Rabbi, 
und zur Braut werd ich dir nicht folgen, eh 
du mir Red und Antwort stehst! Rabbi, voU 
ist das Land von solcher stumpfen halbver- 
blödeten Bauernbrut, jetzt nach dem langen 
Krieg, im Strafsengraben gezeuget zwischen 
verwesten Leichen; haben solch Aussehn wie 
Menschen, doch das Tierische ist dreimal stark 
in ihnen ; wissen nicht, was sie sein noch wan- 
nen sie kommen, gleichen Rätseln in Menschen- 
gestalt, laufen zu, sind plötzlich da und niemand 
hat sie kommen sehn — und der da drin, den 
sie den Golem nennen, und den du im Hause 
hast mit deinem Kind allein. — 

Rabbi 
Um mein Kind soll dir nicht bang sein! 



53 



Ist meiner Macht so grofs Rühmens, was ver- 
möchte ich es nicht zu wirken durch meine 
Macht, dafs aus der Hure eine Jungfrau werde, 
damit sie. züchtig und keusch ins Bett gehe 
dem Bräutigam? 

Rüben 
Rabbi, welchen Schimpf treibst du hier? 
Dein Kind, und ich selber, was sind wir dir, 
dafs du deinen Schimpf hast mit uns ? Achtest 
du so des Menschen, Rabbi, und was ihm wert 
ist? Geht doch die Kunde, du habest einen 
Menschen geschaffen, aus Erde, aus Lehm, aus 
dem Nichts — so schufst du ihn, nicht, dafs 
er an seinem Menschensinn Lust habe, sondern 
dir zum Spiel hast du ihn geschaffen? Rabbi 
— schier könnt ich Mitleid verspüren mit dei- 
nem Grolem — weil ich fühle, was du mir antust! 

Rabbi 
Steht dir schlecht an, sein Fürsprech zu 
sein I Vor mir reckst du dich in die Höhe und 
hast den Blick aufgehoben und siehst doch dein 
eitel Mafs nurl Selber — selber bist du ge- 
ringer als ein Golem, wenn in dir Luft ist und 
nicht der Odeml 

Rüben, 
sich überstürzend. 

Hast du ihn geschaffen, deinen Golem — 



54 



so schufst du ihn dir zum Spiel und Eigen- 
willen — nicht sich selber, nicht sich selber 
zu Lust und zu Frommen ! Rabbi — die Angst 
um dein Kind hat mich hergetrieben I Rabbi 
— zu deinem Kind will ich — 

Rabbi, 
abgewandt, schwer. 

Versinkt unter mir alles , worauf ich mich 
will stützen — wird klein und entschwindet 
unter mir alles — wahrlich, wenn ich hinunter- 
schreie aus der Angst meines Herzens , so 
wird's nicht gehört, und mein Geschrei kommt 
mir zurückgestofsen in den Mund ! Zu Raben. 
Aber wenn's mein Schicksal ist, dafs ich soll 
allein stehn bleiben in meiner Einsamkeit, wo 
ich stehe — mein Blut werdet ihr nicht hin- 
unterzerren zu euch! 

Rüben, 
vor der Treppe. 

Dein Golem — dein Golem bleibt ja mit 
dir! 

Rabbi 

Zu meinem Blut nicht! Zu meinem Kind 
keinen Schritt ! Er yerstellt ihm den Weg. Nicht ist 
es der Wille, dafe die Weinrebe soll an den 
Dornenstrauch angebunden sein! Die Ketten 

55 



des Versprechens zerreifsen wie Strohfesseln, 
von einem Wort, das ich ausspreche — 

Rüben 

blickt hinauf. 

Von Abigail — ein Wort hören, von Abigail 
ein Wortl 

Rabbi 

Aber ich will es nicht sprechen, me^ Wort, 
denn deine Fü&e würden dir wie Lehm auf 
Lehm, und die Arme würden dir abbrechen 
von deinem Leib — in Frieden das Geschöpf 

mit seinem Schöpfer I Er eigieift Rvbent Am nnd 
itolst ihn gegen das Tor. — Draufisen eiJen Fackeln kreni 
nnd quer über den Fiats, man sieht einen undeutlichen 
Schimmer an der Fensterbank sich bewegen. iCehr zu- 
rück den Weg, wo du dich verloren hast. Gib 
acht, deine Seele soll hier nicht zurückfinden 
über die Schwelle, als der Geist aus dem Rück- 
grat geboren, das sich nicht hat beugen wollen! 
Wie dort draufsen die Fackeln, sollst du suchen 
und rennen im Finstern. Wahrhaftig, ich hab 
dich gerufen, aber jetzt bist du mir entschwun- 
den, ich seh dich nicht mehr ! Er gibt ihn frei. 

Rüben 
Abigail ! 

Rabbi 
stampft auf den Boden. 

56 



Amina 

encheint vor dem Vorhang. 
Eine Fackel hnscbt an dem Fenster Torbei, verweilt einen 
Augenblick. Rabbi mit leisem Ausruf näher. 

Der Älteste der Gemeinde, 

von der Bank im Dunkel ; er ist aufgeschrocken, erhebt sich. 

Das Licht — das Licht zu hell über mirl 

Rabbi 

Mardoch, Ehrwürdiger, in meinem Hause 

bist du? 

Ältester 

Grofser Rabbi, verzeih, müd bin ich ge- 
worden, verzeih dem ältesten Mann in der Ge- 
meinde, wenn er sich hat verträumt in deinem 
HausI Ein Licht hat mich aufgeweckt, ein 
Licht! Einen Traum hab ich geträumt in deinem 
Haus, Rabbi! 

Rabbi 

Wie bist du in mein Haus gekommen. Ehr- 
würdiger ? 

Ältester 

O, nenne mich nicht so, du Held Gottes, 
dem alle preisenden Namen gebühren. Ich bin 
oft und oft gekommen in dein Haus, mit den 
Krüppeln, als der letzte von den Krüppeln, imd 
mit denen, die gekommen sind, das Wort zu 
hören, auch als der letzte. Kniet nieder. 



57 



Rabbi 
Mardoch, was tust du mir an! 

Ältester 
Rabbi, mein Körper ist morsch vom Alter 
und meine Seele ist morsch von den Zweifeln, 
aber ich bin dageblieben um Eines willen, 
welches gewaltiger ist als aller Schmerz und 
die ganze Wahrheit zusammengenommen. In 
vielen Häusern sitz ich da, unbemerkt, wenn 
die Dämmerung kommt! Rabbi, ein Totes 
haben sie gebracht zu dir, und wenn du könn- 
test vollbringen, worum sie dich bitten, warum 
dann sollte dir nicht gelingen das Letzte? 

Rabbi 

Ehrwürdiger, gibt es denn noch ein Letztes 
nach dem? 

Ältester 

Das Letzte, das Gröfste: dafs du bei der 
Hand nehmen möchtest dieses tote Volk und 
möchtest sagen zu diesem Volk : nun wandle I 
Bennahum , warum solltest du nicht sein der, 
auf den wir warten alle, so wir sind zerstreut 
über das Erdenrund? Für dessen Kommen die 
Gesänge werden gesungen an den Festest^en ? 
Der dieses Volk wird bei der Hand nehmen 
und führen zurück an den teuren, heiligen Ort l 

58 



Rabbi 
Mardoch — ich soll es sein, der das Volk 
nimmt und führt, ich schwacher Mensch allein? 

Ältester 
Rabbi, eine mächtige Hand hab ich erblickt 
im Traum über deinem Haus; eine Hand aus 
Feuer, eine feurige Wolke, eine Hand, wie ich 
nie eine gesehen hab im Wachen! 

Rabbi 
Wenige sehen sie im Wachen, den Gerechten 
nur erscheint sie im Traum. 

Ältester 
Rabbi, du bist hoch genug in deinem Herzen, 
da{s du sie erfassen kannst und halten in deiner 
wie eine Freundeshand? 

Rabbi 
Hoch genug bin ich! Bin ich nicht hoch 
genug noch dazu emporgestofsen worden , in 
die Höhe? Allein genug steh ich, da, wo ich 
steh, ist doch keine andre Hand, die ich fassen 
kann mit meinen Händen! 

Ältester 
Heiliger, der Herr wird dir Kraft verleihen. 
Das Kind wirst du erwecken, das Tote wirst 
du erwecken, damit du das Volk dann er- 



59 



weckest! Heiliger, wirst du gehn in das Gottes- 
haus, wo darf ausgesprochen werden der Name, 
der dreimal gefürchtete? 

Ra-bbi 

Ich werde hingehn in das Gotteshaus, Mar- 

doch. 

Ältester 

Die Teppiche werde ich aus den Häusern 

schleppen, deine Füfee sollen nicht berühren 

den Unrat auf der Gasse! Und du wirst die 

Hand erfassen, die mächtige, im Feuer! 

Rabbi 
Ich werde hinauf langen nach ihr, mit mei- 
nen Händen ! 

Ältester 
Und in dich wird die Kraft einkehren! 

Rabbi 
Ich werde ihr die Kraft aus den Fingern 
nehmen. 

Ältester 
Und du wirst den Namen aussprechen I 

Rabbi 
Er ist mir kund. 

Ältester 
Und du wirst gehn in das Haus Raheis und 
das Tote aufwecken! 

60 



Rabbi 
Steh vor dem Haus , damit du mich ein- 
treten siehst. 

Ältester, 

versucht sich an seinem Stabe aufzurichten. 

Ich alter Mann werde vielleicht noch er- 
blicken die teure, heilige Stadt im Osten! 

Rüben, 

will ihm helfen, springt herbei. 

Rabbi 
Aus dem Wege, den das Alter geht und 
die Andacht 1 Fort, sag ich! 

Amina 

kommt heran, auf seine Schulter gestützt, geht der Älteste 

ans Tor. 

Rüben 
So mufs ich gehen aus dem Haus der 
Braut, Rabbi.? 

Rabbi, 

mit der Handbewegang, die er gegen Ruhen au^hrte, ehe 

er ihn erkannte. 

Wie du kamst, war es das Haus der Braut 
für dich, jetzt ist es Bennahums Haus! 

Altester, 

schon Ton der Gasse her. 

Einen schönen Traum hab ich geträumt in 

6i 



deinem Haus, Rabbi ! Ab, mit Amina, und von Rnben 
gefolgt. Fackeln nmxingen de, geben ihnen langsam das 
Geleit durch die Gasse. — Es ist finster. 

Rabbi, 

einen Moment verweilt er wie erstarrt. Dann raschen 

Schrittes zum Gestühl. Er vetsucht Feuer zn schlagen, aber 

der Stein entfällt seiner Hand; er bricht fichzend cnsammen, 

die Stirn auf dem Folianten, dessen Ketten klirren. 

Amina 

kommt zurück. Legt den Querbalken ins Tor, schiebt die 
Riegel vor, verschliefst die Fensterläden, verweilt dann 
in geduckter Haltung vor dem Vorhang rechts vom, der 
ganz zurückgezogen ist und hinter dem man die dunkle 
Kammer erblickt. 

Rabbi 

richtet sich auf. 

Nacht ist ! Besteil das Licht und das Feuer ! 
Aminas 

Bewegungen haben plötzlich Macht und Sicherheit gewonnen. 
Er schlägt licht, steckt den Leuchter auf dem Gestühl an, 
bricht die riesigen Scheite im Kamin wie Reisig auseinander, 
trägt Stucke davon in die Kammer, k<Hnmt und geht mit 
grofsen Schritten. 

- Rabbi 

im Gestühl. Erst stockend, dann kräftig. 

Ich soll hinauflangen nach deiner Hand» 
Mein Atem gehört mir, so hoch ich bin. Und 
du wirst mich in die Höhe ziehn, wo noch kein 

62 



Mensch gestanden ist vor mir. Er schlägt auf das 
offene Buch. Wie du mir mein Weib weggerissen 
hast, hab ich dich in der Gewalt gehabt zu der 
Stund? Wie ich das Geschöpf dort hab auf- 
stehn lassen an der Flanke von meinem Herd, 
hab ich dich in meiner Gewalt gehabt zu der 
Stund? Der du gesetzt bist über die Toten, 
Engel des Todes I Die FUmmen der Kersen wehen 
wie von starkem Wind bewegt. In deiner Nähe bin 
ich ! In deiner Näh ist der Herr des Namens ! 
Er steht auf. Steht geschrieben vom Anbeginn : 
Der Herr des Namens oder der Knecht des 
Todes 1 Ich oder du ! Und wenn meine Hände 
mir abbrennen von den Armen, und meine 
Arme vom Leib, hinauf werd ich langen, die 
Hand werd ich fassen. Einer von uns. Ich 

oder du ! Die sieben Kerzenflammen der Menorah schlagen 
zu gewaltiger Höhe auf, sinken aber gleich wieder. 

Amina 

läfst das Holz fallen und fUlt nieder, wie umgestofsen. 

Rabbi Jk 

zwischen dem Buch und der Lehne des Gestühls vorwärts 
imd zurück geschüttelt, wirft das Haupt zurück, wie in höch- 
ster Anstrengung: 
Ich oder dul 

Vorhang. 

63 



i 



Zweiter Aufzug 

Der nächste Morgen. — Blendendes Sonnenlicht (iUt durch 
die Scheiben. 

Amina 

sitEt auf der Bank vor dem Kamin, seine Hände spielen 
mechanisch mit einem Span verbrannten Holzes. 

Abigail 
kommt langsam, über das Creländer lugend, die Treppe herab. 
Vater I Vater! — O, du bist hier.? Bist 
allein, sag? Wo ist er, wo ist der Vater.? 

Amina 
Im Finstern , in der Nacht hinaus in die 
Gasse, der Vater. 

Abigail 
Und ist noch nicht heimgekehrt? 

Amina 
Das Haus hüt ich, das Tor hüt ich, bis er 
kommt. Hat so befohlen der Vater. 

Abigail 

Der Vater, der Vater ! Du sollst sagen der 

Meister, der Rabbi! Für dich ist sein Name 

der Meister, der Herr! Sind wir Geschwister 

zueinander, dafe du sagst: der Vater? Sie hebt 

seinen Kopf mit zwei Händen anf; milde. Du hast ge- 
wacht all die Zeit? Deine Augen, sieh mich an, 

64 



ist kein Schlaf über deine Augen gekommen? 
Xäfst ihn frei. Ach, deine Augen, als ob sie je- 
mals wach wären t Geht paar Schritte nach Unki . 
War schon spät in der Nacht, wie ich hab 
Schlaf bekommen, aber süfs, süfs. Hab nicht 
das Tor gehen gehört, hab nicht gehört, einer 
geht und einer bleibt. Was horchst du in die 
Luft? Hörst du ihn kommen? Kommt er zu- 
rück? 

Amina 

hebt die Hand. 

Klingt es in der Luft oben ! 

Abigail 
Pfui, was hast du zwischen deinen Fingern? 
Ein Stück verbranntes Holzl Schlagt mit ihrem 

Tüchlein nach Aminas Hand, ein Streifen reifst ab, wie sie 

es zurückzieht. Mein Tüchlein I Hast mir mein 
gut Tüchlein zerrissen mit deinen Fingern aus 
Eisen I 

Man hört Musik näher kommen. Es wird ans Fenster ge- 
pocht. — AbigaU läuft hin und öffiiet es, indem sie auf 
die Fensterbank kniet. — Drei Mädchen, zwei Jüng- 
linge, Moschitzig, der Narr, in buntem Fetienflaus, und 
die Jndenmusi kanten, swei Flötenbläser, ein Geiger, 
stehn vor dem Fenster. — Die Musik bricht ab, die Mäd- 
chen beugen sich, sich umschlungen haltend, zum Fenster 
herein. 

Die Mädchen 

Abigail, zu dir kommen wirl 



5 Arthur Holitscher, Der Golem 



65 



Abigail 
Was wollt ihr hier? 

Die Mädchen 
Sollst mit uns kommen 1 Komm mit zum 
Baum ! Der Baum bei der Mauer , der Baum 
blüht! 

Abigail 
Was ist denn heut, Festtag? Dafs ihr so 
geputzt daherkommt? 

Die Jünglinge, 

im Hintergrund. 

Geht weg vom Fenster, wifst doch, wie sich 
ziert das Jungfräulein I Meise, komm! Seid ihr 
doch alle zu gering 1 

Moschitzig 
Festtag, Festtag, gewaltig I 

Abigail 

BchULgt nach ihm. 

Narr, was ist in dich gefahren? Was springst 
du nicht, was tanzest du nicht? 

Die Mädchen 
Nicht ihn schlagen heutl 

Moschitzig 
steckt den Kopf und Oberkörper herein. 
Mufs nit springen heut Moschitzig, mufs nit 

66 



tanzen heut Moschitzig, mufs nit Zähneknirschen 
und nit Schläge einstecken, nur darf auf Kanun 
blasen, aber ist kein Bufstag nit heut, sondern 
gewaltig, gewaltig! 

Die Mädchen 

Weifet denn von nichts, du? Keine Arbeit 
wird verriebt in der Gasse heut, haben alle die 
Hände im Schofe und stehn vor dem Gottes- 
haus I Den Kindern — den Kindern hat man 
den Mund verstopft mit Kuchen, kein Laut darf 
sich rühren um das Gotteshaus herum! Teppiche 
liegen auf der Gasse, bis zum Haus von Rahel, 
von der Witwe, bis zum Haus, wo das Tote 
liegt und wartet! 

Abigail 

Ist mein Vater, um den ihr alle seid wie 
an einem Fest! 

Die Jünglinge 

Weifs nichts der Baum vom Rabbi, fragt 

nicht nach dem Rabbi, der BaumI Hat seine 

Blüten all von sich selbst! Meise, Behla, kommt, 

Lia, für wen blüht*s am Baum? Die Miuikanteii 

itimmen ihre Instrumente. 

Moschitzig 
Steht da im Totenhemd der Grofse und 
bückt sich, und bückt sich nach Osten, so! 

67 

5* 



Hat angezogen ein lang Laken, ein Leichen- 
leiiichy der (Srofse I Aber wir ! Werden wir da- 
stehn in Silber und Grold, von der Mutz her- 
unter bis zu den Schuhen! Werd ich trs^^ 
ein gülden Kleid, wenn er zurück uns fuhrt 
nach Jeruschalem, nach der Stadt! Werd ich 
tragen ein Kleid bis zu den Schuhen, einen 
grofsen gelben Ring werd ich tragen da auf 
meinem Kleid, all von Gold und Diamant ge- 
macht! Keine Schläge mehr zum Leben! Sitzen 
werd ich auf dem Wagen, wenn er zurück uns 
führt nach Jeruschalem ! Werd ich sein wie ein 
König ! 

Die Jünglinge 
im Weiteniehn. 

Ein Narr bist ! Ein Narr bist ! Die Musikan- 
ten spielen ein frisches Lied. Für Wen blüht's am 
Baum? Für uns. 

Die Mädchen 

zur Musik singend. 

Ein Tag, ein Tag wie Samt und Seiden ! 
Die Jünglinge 

ihnen nach, singen. 

Ein Tag wie Samt und Seiden ! Nun spring 
und lauf und such dein Ripp. 

68 



Die Mädchen 
ebenso. 

Und sag, du magst mich leiden! 
Abigail 

geht fa Amina. 

Die mit ihrem Christenliedl ! 

Ein Mädchen 
zum Feniter surück. 

So komm, Abigail, komm schnell! Hut 
doch der Knecht das Haus derweilel 

Ein Jüngling 

neben ihr. 

Sie mufe er doch hüten ! Dafs sie dem Bräuti- 
gam bewahrt die Treu! He, Milchbart du! 

Schlacker! Sie lachen. 

Abigail 
stnrzt snm Fenster, preist die Flügel mit beiden Händen su. 

Ihr mir aus den Augen! Lauft euch die 

Narrenschuh entzwei! Wendet sich zu Amins, beifst 

an ihrem Tüchlein. Was hast du sie nicht davon- 
gejg^? Hast doch gehört, wie sie dich ge- 
höhnt haben? 

Amina 
Hab gehört. 

Abigail 
Wofür denn hast du die Kraft in ddnen 



69 



Fäusten, wenn du's nicht zeigst ? Zum Dienen ? 
Immer nur zum Dienen und Dienen? Näher m 
ihm. Hast keine Lust, hinauszugehn unter den 
Himmel? Dich vergnügen? Den Vater will 
ich bitten darum, er soll es dir gewähren ! Nie 
lachen. Nie singen. Nie Freude fühlen. Nur 
dienen, dienen, immerzu! 

Amina 
Ja. 

Abigail 
Nun, so dien mir. Hörst du ? Das Fenster 
aufspreiten, dafs die Sonne hereinkann. Rühr 
dichl Soll ich die Peitsche holen? 

Amina 

zum Fenster. 

Abigail 
eilt ihm nach, hSlt das Fenster zu. 

Nein, ich will nicht 1 Wendet sich, legt die Arme 

hinter den Kopf. Nicht soll*s offen stehn, das Fen- 
ster! Kommt zu starker Duft herein. Schon 
ist voll davon das ganze Haus, die weite Wiese 
hinter der Mauer ist all herinnen, oder ist mein 

Haar, was so stark duftet ? Löst ihr Ilaar, geht zu 
Amin«, geheimtuend, mit kindischer Schlauheit. Taube, 
Taube, weifst? Taube, sie giefst sich voll ihr 
Haar mit kostbarem Ol, gewifs, jetzt hat er 



70 



ihr welches mitgebracht aus Holland, der Bruder, 
feines Öl das gut riecht, gewifs ! Mein Haar, 
mein Haar hat doch süfseren Duft. Schwenkt 
-es vor Aminai Gesicht. Fühl's, wie es duftet ! Geht 
zum Gestühl, lehnt sich davor. O ich weils, weifs 

gut, auf den Vater hat sie's abgesehn, als sein 
Weib möchte sie bei ihm sein, oder seine Magd, 
ich weifs ! Wie nur kann man solch alten Mann 
liebhaben im Herzen? 

Amina 
Schön und hoch der Vater I Mächtiger Rabbi I 

Du Grofser! im Tonfall die Krüppel nachahmend. 

Abigail 
Runzelig ist sein Hals, sein Bart ist trocken 
und sein Atem und sein Gewand riechen gleich. 
Möchtest du ein alt Weib freien zur Ehe ? Ant- 
worte mir ! Ach, am Freitagabend, oben hinterm 
Gitter im heiligen Gotteshaus, wo die Frauen 
sitzen, da hör ich wie sie singen unten : wollen 
gehn — der Braut entgegen ! Die Männer sind 
es, ich mach die Augen zu, da kommen all 
die Stimmen und legen sich — über michl 
Schön ist der Gesang! 

Amina 
Ins heilige Haus — ich bin niemals gekom- 
men. 

71 



Abigail 
kauert vor ihm nieder. 
Darum ist so traurig dein Leben ! Weil du 
ihn nicht kennst, unsern Gott ! Und der Vater 
— jetzt steht er doch vor ihm, jetzt steht er 
doch vor Gott in dem heiligen Haus — wie 
traut er sich, dazustehn und ihn anzuschaun 
oben, wo er dir hat solches angetan, dafs du 
nicht kennst unsern Gott. Greh hinl Drang 
dich zu ihm hinein, sag ihm: wie traust du dich, 
du — vor deinem Gott zu stehn I Wariun gehst 
du nicht? 

Amina 
Grofse Flammen waren in der Nacht, er hebt 

die Hfinde mit gespreizten Fingern grofse Flammen t 

Und der Vater hat zu jemand gesprochen : Ich 
oder du! Ich oder dul 

Abigail 
Zu dir hat er gesprochen? 

Amina 

schüttelt den Kopf. 

Nein, aber er hat gezittert, wie er hinaus 
ist, aus dem Tor, der Vater 1 

Abigail 
Ich werde vor ihn treten und sagen werde 
ich ihm: diesen hier, warum läfst du ihn in 



der Traurigkeit? Nehmen sollst du ihn und 
hinführen vor unsern Gott, damit auf einmal 
weggenommen ist von ihm, was so schwer auf 
ihm drückt, so dafs er nicht sein kann wie die 
anderen, so frei und so heiter und wie die 
Menschen sindl Zu Amina. Sag mir, du willst I 
Sag, du willst unsern Gottl 

Amina 

nestelt lein Wams auf, zieht das blutrote Pergameot hervor, 

das an einer Schnur an seinem Halse hfingt, fuhrt es an die 

Lippen. 

Ewig, ewig, 

Abigail 
rockt Ton ihm fort, erschauernd und gebannt. 

Ein Blutfleck I Wie ein Blutfleck ist es vor 
deiner Brust I Wie wenn all das Blut, was ein 
Mensch hat, wäre drin zusammengeronnen in 
Eins! Du, deine Lippen I Verbrenne sie nicht! 
Heifs ! Und wie deine Brust ist — so wie Eis 
hab ich's gefühlt mir ins Gesicht kommen von 
dir, wie im Winter, eisig I So breit, und stark, 
und weüs I SchUefst die Augen. Und wenn ich die 
Augen zu habe, ich seh's noch, blutrot, und 
weifs, und stark . • . 

Amina 
prefst das Amulett zurück, rafit das Wams snsammen. 

Nicht! 



73 



Abigail 
kommt n2her. 

Was denn, nicht! 

Amina 
Deine Augen nicht auf meiner Brust! 

Abigail 
Bist du sittsam? Du! Du Starker, du Feiger! 
Sieh her, so feig wie du bin ich nicht, und bin 
doch ein Mädchen nur! Hab meine Brust ge- 
zeigt heute nacht den Sternen, hab an meinem 
Fenster gestanden und der Mond war neu — 
und nicht der Mond und die Sterne allein haben 
meine weifsen Brüste gesehn — auf der Gasse 
war einer, der hat dagestanden im Finstern und 
hat hinaufgeschaut zu dem Leuchten lie lacht 
von den Sternen! 

Amina 
Rüben. 

Abigail, 

erschrocken. 

O, woher weifst du's? Du, nicht dem Vater 
sagen! Hast du ihn gesehn? Nicht? Woher 
weifst du's dann, dafs er es war, vor dem 
Haus? Ich hab ihn gleich erkannt. Brauchte 
nur hinab zu schauen. Hab auch gleich ge- 
wufst, weshalb er in die Stadt zurück, in die 



74 



Gasse zurück ist gekommen! Und Taube — 
Taube, sie denkt bei sich : wenn ich mit ihrem 
Bruder zieh, dann bleibt der Vater allein und 
sie . . . 

Amina 



Niemals. 
Wasl 



Abigail 



Amina 
Niemals allein, der Vater. Niemals werde 
ich fort — vom Vater. 

Abigail 
Niemals? Und wenn dir eine gefallt? Und 
nimmst sie zum Weib? 

Amina 
Niemals vom Vater fort. 

Abigail 
Auch nicht, wenn ich zu dir spreche: mit 
dir, mit dir will ich ziehn, dir folgen will ich, 
wohin du gehst, dein will ich I 

Amina 
Niemals vom Vater fort. 

Abigail 
Auch nicht, wenn ich zu dir spreche, merke 
wohl, höre wohl: ich will tot sein eher, als 
dafs ich mit einem andern zieh als mit dir! 



75 



Ich will tot sein, wenn du nicht mit mir ziehst^ 

ich will tot sein, ich will tot sein! Antbrediend. 

Was siehst so vor dich hin? Weifst du den 
Sinn nicht? In deinem dumpfen Hirn weifet 
du nichts von Lust und nichts von Tod? Weifst 
du nicht, was tot sein heifst? 

Amina 
Vom Vater — fort. 

Abigail, 
nach einer Panie. 

Fort — von allen, allen fort 1 Leise hinauf 
die Treppe, bleiben unten alle zurück und aus 
dem Fenster heraus beug ich mich, dunkel ist's 
droben und keiner schaut mehr hinauf zu mir 
— alle sind fort! AufochreicncL Der Vater soll 

zurück kommen! Sie klammert sich an Amina, be- 
ruhigt sich. Nein, der Vater nicht, wenn du nur^ 
Amina, wenn du nur bei mir bleibst! — Sag^ 
dafs du bei mir bleiben willst! 

Amina, 

seine Angen blicken ins Leere, seine Hände sind auf der 
Brost verkrampft. 

Abigail 
läfst von ihm, betrachtet ihn stnmm, wiegt schwer den Kopf» 

Ein leises Tasten an den Fensterflügeln, sie werden anf- 
gestofsoi. 

76 



Rüben 

schwingt sich über den Fentterbord herein. 

Abig ail 

läuft auf ihn za, mit knrzem Aufschrei, stampft anf den 

fioden. 

Nein ! 

Rüben, 

mit bittend vor sich gestreckten Händen. 

Niemand, niemand hat es gesehn, leer ist 
die Gasse weit und breit ! Ist mir ja verwehrt 
das Tor, versucht «u lachen, aber wer ist der Dieb, 
die Maus oder der Spalt, durch den sie herein- 
gekrochen ist? 

Abigail 

2u Amina, vor Wut schluchsend, indem sie sich das. Haar 

aufsteckt. 

Du I Büfsen sollst du mir das ! 
Amina 

sur Bank am Kamin; während des Folgenden leben seine 
Blicke allein an ihm. 

Rüben 
Abigail, gut weils ich es, ich spiel mit meinem 
Leben, vielleicht ist mein Leben schon verwirkt! 
Die Kraft von dem Rabbi ist doch lebendig 
in ihm und ich hab mich aufgelehnt gegen den 
Rabbi 1 Sag ihm, befiel ihm, mit einem Faust- 
schlag hat er mich niedergeschlagen. Wenn 



77 



du mir jetzt auch verwehrst, dafs ich zu dir 
herein darf kommen, Abigail, was ist mir dann 
alles, was hab ich dann noch zu suchen in der 
Welt; dann kannst du ihm befehlen, er soll 
mich zerschlagen. 

Abigail, 
noch immer zu Amlna. 

Befehlen ! Und verspräche ihm einer Flan- 
dern und Brabant! Ein Tumimix, weifs von 
nichts Bösem! 

Rüben 

KlilSgt lieh an die Brust. 

Hör auf mich, Abigail, um dich hab ich 
mich aufgelehnt gegen den Rabbi, aus grofeer 
Angst um dich war mir mein Ungebühr und 
mein Frevel gegen den Rabbi. Aber ich will 
vor den Rabbi hintreten zum andemmal und 
will sprechen: Sieh her, zerschlagen ist meine 
harte Stirn und gebogen mein störrisch Rück- 
grat, ich hab gedacht beim Kommen in die 
Heimat zurück, ich komme als ein Wissender, 
aber heut nacht sind mir die Schuppen gefallen 
von meinen verblendeten Augen ! Abigail, heut 
nacht I 

Abigail 

Ins Gotteshaus hast du dich eingeschlichen f 
Den Vater hast du belauscht bei seinem Werk? 



78 



Rüben 
Was fragst du so? Hast du mich denn 
nicht erblickt unter deinem Fenster? Wie ich 
im Dunkel dagestanden hab unter deinem Fen- 
ster, heute nacht? 

Abigail 
Hab dich nicht erblickt. 

Rüben 
Kein Licht hat gebrannt oben, und ich hab 
doch ein Licht flackern gesehn in deinem Aug 
und hab das dunkle Ghetto wiedererkannt in 
deinem dunkeln Aug und es war nicht mehr 
abstoisend und häfslich, sondern geheimnisvoll 
und tief zugleich, und ich hab mich verirrt und 
wufst nicht aus und ein — dann ist der Rabbi 
aus dem Haus gekommen und in grofser Hast 
an mir vorbei — was hab ich getan ? In eine 
finstre Eck hab ich mich gedrückt und hab 
den finstem schmutzigen Stein gekiüfst zur Ab- 
bitte und der Stein ist feucht geworden und 
war ehe schon moderig und alt. 

Abigail 
Und wenn ich herabgesehn hätte zu dir? 

Rüben 
In deinem Blick ist die Macht von dem Blick 
deines Vaters, womit er zaubern kann. Viel- 



79 



leicht wäre ich gelaufen, bis ich vor seine 
Schritte gekommen wäre und hätte mich nieder- 
geworfen auf den Weg vor ihn und hinaufge- 
schrien zu ihm : tret auf mich, was bin ich, ein 
Nichts, dafs ich hab scheel gesprochen von 
einer Stadt und dafs ich hab gedacht zu lassen 
von einem Stamm, der solch ein Mädchen hatl 

Abigail 
Und wenn ich mich hinausgebeugt hätte, 
und wenn ich hinuntergeflüstert hätte zu dir? 

Rüben 
Wer weifs, an dem Tor hätt ich gerüttelt 
bis es aufgesprungen wäre trotz Eisenricgel 
und trotz Verbot! 

Abigail 

Aber dann hättest du vielleicht auf Amina zei- 
gend diesen dort vor meiner Kammertür gefun- 
den? 

Rüben 

In der Fremde hab ich mir das Herz ab- 
gefressen vor Gram darüber, weil er im Hause" 
ist mit dir, aber jetzt, da ich den Zauber vom 
Rabbi an mir verspürt habe, was ist mir nun 
das Geschöpf, was ist mir das Geschöpf, das 
er geschaffen hat, was ist mir der Golem! 

80 



Abigail 
Ja, magst recht haben. Hast ihn ja gesehn, 
wie er stumm und ohne sich zu rühren dabei 
stand, als du hereingesprungen bist zu mir. 
Brauchst keine Angst zu haben, ist ja kein 
Licht in dem dumpfen Gehirn von dem Knecht 
dort, den sie den Golem heilsen, den Golem! 

Rüben 
Du stöist mich nicht weg von dir, Abigail, 
du duldest es, dafs ich bei dir bin! Wo ich 
doch wie ein Dieb hereingeschlichen gekommen 
bin? 

Abigail, 
dicht vor Amina. 

Wenn du ein Dieb geworden bist um meinet- 
willen, so raub mich doch, raub mich doch! 

Rüben, 

ernst 

Nein, wenn ich auch wie ein Dieb gekom- 
men bin, so bin ich doch kein Dieb in meinem 
Herzen. Denk, wo ich gestern war, als du dein 
Fenster droben zugeschlossen hast und ich dich 
nimmer sehn konnte droben — auf dem Gottes- 
acker war ich, bei Vater und Mutter und hab 
gesagt zu ihnen Vater und hab Mutter gesagt, 
so als ob ich's zum ersten Mal sagte in meinem 
Leben. 



8i 

6 Arthur Holitscher, Der Golem 



Abigail, 

wie oben. 

Der Vater und die Mutter, sie haben mich 

dir zugesprochen, dir gehör ich ja, brauchst 

mich doch nur zu nehmen, bin dein Eigentum 1 

Rüben 

fahrt lie leite xur Feniterbank, wo sie sich setzen. 

Und wie ich von den Gräbern hab aufge- 
blickt zum Himmel, da sah ich, der Mond war 
neu, da hab ich mich erinnert, wie es heifst 
bei unserm Volk : es gelingt dir, was du unter- 
nehmen willst. Und ich hab mir's zugeschwo- 
ren , mir und den Steinen : zu dir zu gehn I 
Und nun sind wir beisammen, wie wir's waren 
als Kinder, in der Ecke, auf der Bank, allein 1 

Abigail, 
▼on ihm fortruckend ; das erste Wort laut, das übrige ge- 
halten, wie lauernd. 

Allein — ja, red zu mir, als wären wir 
allein! Red zu mir, ist doch nichts zwischen 
uns geraten und keiner, all die Zeit, seit wir 
Kinder waren. Rede, rede doch zu mir! 

Rüben 
Nicht reden. Anschauen möcht ich dich 
nur, immerfort. Suis ist, dich anzuschauen, 

wie an Honig schmecken. Seine Hand streicht leise 
8j2 



an ihr hexab. Dein grün Samtkleid, wo hast du's, 
das du immer angehabt? 

Abigail 
Mein grün Samtkleid, was fragst du danach ? 

Rüben 
So hab ich dich gesehn, immer, wenn ich 
allein war! 

Abi.gail 
Alt Wiebe hat mein grün Samtkleid be- 
kommen; vor der Altschul kannst sie sitzen 
sehn, es war nit mehr viel heil daran, hat sich 
eine Haube gemacht daraus. 

Rüben 

lacht. 

Eine Haube hat sie sich gemacht! 

Abigail, 
näher za ihm. 

Sind schön die flandrischen Mädchen ? Sind 
schön angetan? 

Rüben 

Kostbarkeiten hab ich mitgebracht fiir dich, 
wie sie tragen dort in Holland : Schauben aus 
schwerem Brokat, Gold und Silber gewirkt dar- 
ein, und Stoflfe mit bunten Blumen eingeprelst 
in den Samt, und Schuh aus weichem Sämisch 
und ein fein Gürtlein aus Kettlein von gutem 

83 

6* 



Gold mit grünen Steinen, damit du keiner nach- 
zustehn brauchst, wenn du zum Tanz gehst I 

Abigail 
Beim Tanz hat keiner mich noch gesehn» 

Rüben, 

freudig. 

Nicht? So Stolz bist du geworden? Keine 

Freude findest du, zum Tanz zu gehn? Oder 

— Abigail, Abigail: weil du auf mich gewartet 

hast, all die Zeit? 

Abigail, 
rafch und Indem de auf seine Lippen delrt. 
Weifst denn nicht mdir, wie du mich ge- 
nannt hast, wenn wir so beinander gesessen 
sind, Kinder, im Dunkeln? 

Rüben 
Weife es gar wohl 1 Und das eine Mal, wie 
ich die Bibel heHl>eigeschleppt habe, das schwere 
Buch, da haben wir sie aufgeschlagen, um die 
Stellen zu finden von Ehe und von Mann und 
Weib — und das eine Mal, wie wir zum Baum 
hingegangen sind, zum Baum bei der Mauer, 
weifet du noch? War um die Zeit, wo man 
die Abendglocke hat hören können, herüber 
aus der Christenstadt — weifst du noch, was 
geschehen ist dabei? 

84 



Abigail 
Hast in der Fremde die flandrischen Mäd- 
chen geküfst? 

Rüben 
Ist mir doch nur die holdselig, die soll 
Mutter seini Abigail — 

Abigail 
Keine hast du geküfst in der Fremde? 

Rüben 
Nach der Fremde frag mich nicht, singt 
kein Vogel in der Fremde! 

Abigail 
Ist keine dagebUeben, die in Weinen dir 
nachgeschaut hat auf den Weg, wo du fort- 
gezogen bist? 

Rüben 
Keine, keine ist da, nach der ich schauen 
möchte hinter mich. Du nur — du nur sollst 

nicht von mir wegschauen! Fafit ihr Kinn, wendet 
ihr Geiicht zn dch. Bin jetzt daheim I Wendet ihr 

Gesicht von dch ab. Bin jetzt fort, weit, hab keine 
Heimat. So sitze ich neben dir, Kind, wei&t 
du das? Vergifs es nicht, wenn du mich an- 
schaust. War ein anderer Mensch, solang ich 
deinen Blick nicht auf mir gefühlt habe. Nicht 
sei gedacht der Jahre und nicht des Tages! 

85 



Die Jahre hab ich: Leben genannt und den 
Tag: meine Freiheit! Aber wahrhaftig: mein 
Gang war nicht grad und mein Sinn nicht echt 
und mein Drang nicht rechtscha£fen; so hab 
ich gedacht: Kraft und Wissen sind in mir — 
aber was ist dann das, was jetzt hereinströmt 
in mich aus dir, wenn es nicht die Kraft ist 
und das Wissen und das Leben? Kind, nicht 
schaue weg von mir! 

Abigail 
Du hast nicht — all dein Blut in einem 
Fleck — auf deiner Brust? 

Rüben 
Meinst du — mein Herz? 

Abigail 
Gib dein Herz mir her. Ich will hinschauen 
auf deine Brust — du hast doch keine Angst, 
wenn meine Augen auf der Brust dir liegen? 

Rüben, 

sie an sich ziehend. 
Nimm mein Herz heraus, du mit deinen 
Brüsten aus Mondschein! 

Abigail 
Was wirst du tun, wenn ich dir dein rotes 
Herz weggerissen habe von der Brust? 

86 



Rüben 
Tief werde ich mich in deine Arme hinein- 
legen und sterben. 

Abigail 
Fürchtest du dich nicht vor dem Totsein? 

Rüben 
Furcht mich nicht vor dem Tod. Gern will 
ich die Augen zuschliefsen, tief . . . 

Abigail 
entwindet sich ihm, die Hände über den Augen. 
Nicht! Nicht 1 

Rüben 
Tief werde ich die Augen zuschliefsen, wenn 
deine oflfen geblieben sind und hcrunterschauen 
auf meine toten Augen! 

Abigail 
springt auf, läuft gegen Amina zu, Angit schüttelt sie. 

Nicht! 

Rüben 

Ist nicht so schwer, das Sterben 1 Vor dem 
Leben hab ich nur Angst, wenn du nicht bei 
mirfsein willst! 

Abigail 

nimmt die Hände vom Gesicht. 

Ich hab auch Angst vor dem Leben. 

87 



Rüben, 
lachend. 
Was mufst du dich ängsten vor dem Leben, 
Kind? Horch, wie es sein wird, dein Leben! 

Abigail, 

dicht an Amina geachmiegt. 

Angst hab ich auch, vor dem Leben! 
Rüben 

fleht sie kaum, hebt das Knie zwischen den Hfinden, spricht 
mit znrfickgeworfenem Kopf ins Blaue. 
Glatt und blumig wird dein Leben sein, Kind, 
wie die Wiese hinter der Mauer, wie die weite 
Wiese — wenn du mich lieb haben willst in 
deinem Herzen. Sieh her: o£fen ist vor dir 
mein Herz imd.mein Verstand, die Kraft wird 
hereinströmen mit grofeer Gewalt in mich, und 
ich werde bestehen vor mir selber und im Rat 
der Männer, Sollst sehn, wie ich bestehn und 
gewaltig sein werde, wenn du nur mit Liebe 
zu mir stehn willst, Kind! Heimgekehrt bin 
ich, wozu? Um dich hab ich Angst gehabt, 
aber daran, dafs ich Angst haben durfte auch 
um andres willen, daran denk ich erst jetzt. 
Hab drüben noch nicht in die Speicher einge- 
blickt, drüben im Vaterhaus, und hat mir doch 
mancheine mifsmutige Botschaft geschickt der 
Alte, der im Speicher ist, bei den Stapeln, bei 

88 



den Waren, im Haus I Steht oft still der Han- 
del, still steht er wie zu Worms der Krahnel 
Will schon schaffen, er soll sich ummeregenl 
Wozu hätt ich sonst heimgebracht das Gelernte, 
die Kunde? Dafs ich so lang fortgewesen bin 
von dir, das soll die Welt mir jetzt bezahlen 
mit Zinsen! Das schöne Gold werd ich dir 
vor die Füfse legen, die Erste wirst du sein, 
nicht zwischen den Mauern, im ganzen Land, 
so weit unser Stamm verstreut ist! 

Abigail 
Durch dich soll die Erste werden — die 
Tochter Bennahums? 

Rüben 
So bald du den Namen von deinem Vater 
aussprichst, da ist es mir, alles, alles sei ver- 
geblich I 

Abigail 
Vergeblich, vergeblich, warum? Hab doch 
mein Auge liegen auf dir; verspürst du nicht, 
wenn mein Auge glänzt, wie's dir warm will 
aufsteigen aus der Brust? 

Rüben 
Du Zauberin — vermagst du hinwegzu- 
sprechen das Verbot von der Schwelle? Dafs 

89 



ich deinem Vater entgegentreten kann, beschützt 
von Liebe? 

Abigail 

Ich auch, ich kann es schaffen, dafs Einer 

sein warmes Herz wie ein blutig Wort bei sich 

tr^^ auf seine Brust gesiegelt, und schwer 

und heife, und alle seine Wege lang! Ich kann's 

auch schaffen, ich auchl Man hört yereinzelte Rufe 
yon der Gasie her. 

Rüben 

beim Tor; während der folgenden Sätze yersncht er den 
Querbalken zu heben, läOst aber schliefslich ächsend ab davon. 

Auf dieser seiner Schwelle will ich stehn vor 
ihm. Deine Hand wirst du ausstrecken nach 
mir und ich werde fühlen die Kraft in der Luft 
um meine Glieder! Aufrecht werd ich dastehn 
vor dem Angesicht des Gewaltigen, aufrecht! 
Und er wird erkennen, ich bin nicht mehr der 
blinde bübische Tor, der ich gestern war, 
sondern ich bin der, der sein gröfstes Wunder- 
werk hat erblickt — zu Abigail hinstürzend, nmralst 
ihre Knie — dich! dich! 

Abigail 

vor sich hin. 

Nachts wird ein Licht brennen in meinem 
Fenster oben, wenn ich mein Haar aufmache 
zur Nacht — scheinen die Sterne nicht hell. 



90 



zittert der Mond blafs auf dem Himmel, aber 
in meiner Stub das Licht brennt geruhig und 
stark, wenn ich dasteh in den Nächten, angetan 

mit meinem Haar allein! Die Rufe werden itirker 
Temommen. 

Amina 

kommt, als risse er sich gewaltsam ans der Erstammg, mit 
einem Satz zu Abigail. 

Rüben 
Der Golem ! Er hat sich geregt! Er springt auf. 
Horch in die Gasse! Der Rabbi! Sie bringen 
ihn! Der Rabbi! 

Abigail 

zu Amina. 

Bist erwacht am Ende, du? Hab ich dich 
erweckt? Deine Augen — sind sie wach ge- 
worden? Näher komme. Sieh mich an. Er- 
kennst du mich? Weifst du, wer ich bin? 

Amina 
Du bist Pniela. 

Abigail 
Wer bin ich? 

Amina 
Du bist Pniela. 

Abigail 
Pniela? Was ist das für ein Wort? — Schön, 



91 



schön klingt es. Nenne mich Pniela in der 
Stunde der Liebe! 

Taube 

pocht dranfsen an'f Feniter. 

Rüben! Rüben! 

Rüben 

stürzt an'f Fenster. 

Es ruft, es ruft von der Gasse her! 
Taube 

▼on drftnfsen« 

Abigaill Ich bin es, Taube! 
Abigaii 

mm Fenster, sie umwindet die Fensterhaken mit ihrem auf- 
gelösten Haar. 

Was rufst du? Der Vater ist nicht im Haust 
Was ist dein Begehr? 

Taube 
Rüben, Rüben soll kommen, eh der Rabbi 
rückkehrt I (rieb frei den Bruder, Abigaii? 

Abigaii 
Halt ich ihn denn gefangen? Frei durch's 
Tor mag er gehn, wehr es ihm nicht! 

Rüben 
Was ist dir, Schwester? Deine Stimme 
zittert, du weinst? 



92 



Taube 
Hört ihr das Geschrei nicht von der Gasse? 
Der Rabbi — ich hab ihn gesehnt Gesehn, 
wie er aus dem Gotteshaus herausgekommen ist! 

Abigail 
öfihet dal Fenster, beugt dch hinaus. 

Du hast ihn gesehn? Wohin nahm er den 
Weg? Ist er zu Rahel gegangen? Zur Witwe? 
zum Toten? 

Taube 

Gegangen nicht! So war sein Gang, als 
wenn er hin sollt stürzen vor jedem Schritt! 
O, mir ist: ein grofs Unheil steht bevor! Ich 
hab ihn gesehn, ich hab ihn gesehn! 

Abigail 
fafst sie bei den Schaltern. 

Was weinst du? Was hast du meinen Vater 
zu beweinen? 

Taube 

Vor dem Gotteshaus war ich, mit den an- 
deren allen. Hinter den Scheiben, da war ein 
Feuer gesehn, kein Mensch hat je solch ein 
Feuer gesehn mit Augen — es war als stund 
das ganze Haus in Brand! Die Frauen, die 
gesegneten Leibs dastanden, sind heim geflohen, 
die Männer haben sich die Barte gerauft: die 
heilige Bundeslade verbrennt! Aber es war 



93 



kein Knistern oder Gezisch zu hören, wie vom 
Feuer sonst, nur eine einzige grofe groise 
Stimme, des Rabbis Stimme, das wufst ein 
jeder und erkannte sie doch nicht als des Rab- 
bis Stimme und auch nachher war sie nicht zu 
erkennen, wie sie leise und leise geworden istl 

Abigail 
Und dann — was ist geschehen, wie sie 
erloschen war, seine Stimme? 

Taube 

bedeckt die Augen. 

Als ob jemand stürbe, so war sie am Ende, 
und doch hörte sie jeder von uns draufsen! 
Des Rabbis Stimme! Dann ist das Tor weit 
aufgeflogen und er kam unter die Menschen 
heraus, der Rabbi I schiuch«eiid — der Rabbi! 

Abigail 
zu Amina. 

Hast du nicht gesprochen : grofse Flammen 
waren hier zur Nacht? Und der Rabbi hat gezittert 
vor ihnen, wie er hinaus ist in's Gotteshaus? 

Taube' 
Ein Gestorbener mufs so aussehen ! Weifser 
als das Sterbekleid, das an ihm hing, waren 
seine Hände und sein Gesicht! 



94 



Rüben 
Und das Feuer, das Feuer ging mit ihm? 
War's um sein Haupt, um seine Hände, das 
Feuer ? 

Taube 

bebend. 

Hinter ihm ist das Feuer geblieben I faltet 
die Hände. Grofser Gott im Himmel, gib's nicht 
zu, dafs die heilige Lade soll zu Aschen ver- 
brennen, jetzt, wo keiner da geblieben ist, zu 
bändigen das Feuer ! 

Abigail 
Den Weg zum Haus Raheis ist er dann 
gegangen? Soll ich dir die Worte mit den 
Händen herausholen, du? 

Taube 
Auf dem Weg, auf dem Weg zum Toten 
hab ich ihn verlassen 1 Mardoch, der Ehrwür- 
dige, der alte Mardoch kam auf ihn zu und 
kniete nieder und schrie : Grottesmächtiger I Du 
Herr des Feuers! Erlöser des Volkes 1 Der 
Rabbi aber rief nur: Wende ab die Hand! leiter 
die Hand aus dem Feuer, wende sie ab! — 
— Ein grofs Unheil wird geschehen ! Rüben, 
wenn der Rabbi heimkehrt, er soll dich nicht 
finden hier! 



95 



Amina 
Vom Tor weg tu ich das Eisen, wenn er 
mag gehen, der Mensch. 

Abigail 

Wie eine Feder hebst du es in die Höhe! 

Wie eine Feder könntest du ihn zerbrechen I 

Taub e 

Der Golem l Was ist geschehn mit dem 

Golem ? So wie heut hab ich ihn nie gesehn 1 

Abigail 
lachend. 

Erkennst ihn nicht wieder — den Golem? 
Rüben 

▼oll Gtavens inrackweichend. 

Abigail — vor Glückseligkeit schimmert dein 
ganzes Gesicht — zur Stund, da dein Vater 
hinstürzt , bleich wie das Tote I Abigail — 
wenn sie ihn möchten im Triumph herführen 
jetzt, den Rabbi — leichter würde ich ein Wort 
aus mir herausbringen, das ihn versöhnt mit 
mir — leichter als wie ich ein Wort heraus- 
bringe zu sagen, was ich für dich fühle, jetzt, 
wo du lachst ! 

Taube 

bat darch das Fenster Rnbens Ann erfofst. 

Er wird kommen! Es ist nicht weit von 
Raheis Haus hieherl 



96 



y 



Rüben 

auf der Fexutexbank knieend, mit schmerzlicher Bewegasg. 

Schwester, sieh sie an I Sieh sie an ! Mir 
hat sie alle die Liebesworte gegeben — und 
wie sie ihn jetzt anblickt — den Golem ! 

Taube 
Rüben, ein Unheil ist nahl Komm Rüben 
— sachte 1 Die Mauer ist steil und deine Augen 
sind trüb vor Tränen ! Zieht ihn sanft zu sich hinaus. 

Rüben 
schon von der Gasse her, im Abgehen. 
Abigail ! 

Abigail 
Erweckter, du ! Hörst du mich, du, den ich 
auferweckt hab 1 — Der Vater wird kommen, 
bcdd ist er hier. Hörst du? Hörst du nicht? 

Amina 
bUckt zn Boden, wiegt den Körper, wie in Grimm. 

Abigail 
Soll ich dich mahnen, was dir zukommt? 
Hast dus im Schlaf zurückgelassen, da(s du 
dich nicht mehr erinnerst, mit einemmal ? Was 
stehst dort müssig? Rüste zum Empfang! 

Ami na 
Nicht mehr. 



97 

7 Arthur Holitscher, Der Golem 



Abigail 
Was murmelst du von: nicht? 

Amina 
Nicht mehr dem Rabbi dienen. Nicht mehr 
dem Rabbi dienen. 

Abigail 
Was ist? Warum nicht mehr dem Rabbi 
dienen? Was ss^t du mit einem mal: Rabbi? 
nähci zu ihm, lauernd. Was sagst du nimmer: Vater? 



Nicht mehr. 



Amina 

stark. 



Abigail 
Ich hab dirs verwehrt, Vater zu sagen. Hor^ 
es war böse von mir: Du sollst jetzt wieder: 
Vater ! sagen. Ich will es ! 

Amina 

yor sich hin. 

Vater — Mutter — Kindheit — schüttelt leise 
den Kopf. 

Abigail 
Was sprichst du für Worte — nach? 

Amina 

erst im Tonfall Rubens, drauf im eigenen. 
Wie wir sind Kinder gewesen und — Vater 

98 



— und Mutter. Wie wir sind Kinder gewesen 

— und Vater und Mutter. — 

Abigail 

lacht, dann ernst. 

Mufs man dirs deuten ? Du warst nie Kind ? 
Ein kleines schwaches Kind ? Was Vater ist — 
hast du vergessen? Und Mutter — Mutter ist 
ja doch — plötzlich schwer. Meine ist gestorben, 
wie sie mich hergebracht hat in die Welt, weifs 
nicht, was das ist: Mutter! Amina, ich auch 
nicht, ich weifs es auch nicht, was das ist: 
Mutter ! Setzt sich auf die Bank tot dem Kamin, starrt 
yot sich hin. 

Amina 
Mutter, das ist, wie du. 

Abigail 
schrickt zusammen. 
Ich! Dann mit geschlossenen Augen, indem sie die 
Arme nach Amina ausstreckt. Zu dir, ZU dir wollt' 

ich Mutter sein ! Wollt, ich könnt' Mutter sein 

— zu dir! 

Amina, 

mit geschlossenen Augen zu ihr, wie herangezogen, kauert 

sich zu ihren Fäfsen nieder, sein Kopf sinkt auf seine Brust 

herab. 

Abigail 

blickt über ihn hinweg; ihre Hände streicheln sein Haar, 
bleiben auf seinem Scheitel, auf seiner Schulter liegen; sie 



99 



spricht langtam Tor lich hin, erst in singender Weise, dann 
allmähliche Steigerung. 

Ein klein Wesen sollt liegen in meinem Arm, 
leis möcht ich ihm streicheln über sein fein dünn 
Haar, möcht singen über der Wiegen, für die 
weifsen Engel, damit sie bleiben, und für die 
schwarzen Engel, damit sie fort — fort aus dem 
Schlaf, fort von der Stirn fliegen I Meinen schwar- 
zen Mantel, womit ich über die Gasse gegangen 
bin, wie ich es getragen hab, meinen schwarzen 
Mantel zerschneid ich nicht 1 Wenn es wird 
laufen können in seine kleine Schuh, soll's 
mit nlir kommen durch die Gasse , auf seine 
kleine Mütze drüber werd ich breiten den Mantel, 
damit kein Windhauch sich verfangt in seinem 
Haar, damit es mir doch nicht krank zurück- 
kommt ins Haus, in die Stub, mein Leben? 
Die Stufen hinauf mufs ich's noch tragen, ei 
schwer, so klein es ist, die Stufen sind hoch 
und viel hinauf ins Grotteshaus und wo die 
Frauen sitzen oben! und auf dem Schofs, da 
schläft es mir ein, aber huscht bleib der Schlaf 
über seinem Auge — weil unten werden ge- 
sungen im heiligen Chor die Gesänge von un- 
serm Volk am alten Jordanstrom, und gesegnet 
ist mein Kind, wenn es hört in seinen Schlaf 
hinein den Gesang 1 Selber wird es lesen bald 



lOO 



aus dem gelobten Buch, werd ich ihm weisen 
in der Sabbatnacht die Sprüche, und wird sein 
Finger streichen klein und furchtsam weg über 
die gewaltigen Buchstaben — und in einer Ecke 
wird seine Mutter hören und nicken und sitzen 
bei ihrem Herrn, du Freude ihrem Angesicht 1 
Und werd sitzen und nicht greinen, wenn du 
wirst heimkommen spät und sagen: in der Schul 
war lang und streng die Lehre — weil ich werd 
wissen, beim Baum war ich auch gewesen, einst, 
und hab nicht gemerkt, wie es ist Abend ge- 
worden! Und die Jungfräulein werden schon 
herüberspähen nach meinem Knaben und er 
wird schon für Schand achten sein lang Haar, 
in der Eck werden sie tuscheln, wenn er stolz 
vorübergeht, aber ist doch rot geworden von 
ihrem Anblicken! Nimmer lang wird's dauern^ 
und werden selber legen das Gesicht ins Tuch, 
verschämt, wenn im andern Zimmer die Knaben 
herübersingen : Das Nägelein und Zimmetrind, 
das wächst in unserm Garten, ei wie lang, du 
schönes Kind , soll ich auf dich warten ? Und 
sieh dich vor, weil die Stadt ist eng und nie- 
mand darf sehen und wissen, wenn der heilige 
Sabbat kommt zu gehn und du singst zwischen 
den Männern, dafs du verstohlen hinaufschaust 
zum Gitter, wo die Frauen sitzen, ob nicht ein 



lOI 



Gesicht ist gepreist ans Gitter und flaUert eine 
Strähne Haar heraus? Aber dann, im Heim- 
lichen, dir gehört das ganze Haar, dein Gesicht 
und dein Mund kannst baden darin, neigt sich zu. 
ihm und wird kommen der Ts^, wo sie sitzt, 
die auf dich gewartet hat, in der Stub, in Seiden, 
und mit Goldscheren werden ihr jetzt abge- 
schnitten die Haar, weil dir jetzt angehört alles, 
und die Perlenschnüre fallen aus dem Haar auf 
die Erde, und die Männer sagen die Gebete 
und die Frauen sagen den Segen, und die Braut 
steht zitternd in der Tür und mein Bräutigam 
konunt und hebt mit starkem Arm mich auf 

zu sich in der Nacht! Sie hat sich über sein Gesicht 
geneigt, küfst ihn. 

Amina, 

ganz in sich verkanert, an die Haitang in der ersten Szene 
des Stückes erinnernd; bei den letzten Worten Abigails ist 
sein leises Stöhnen in kurzen Stöfsen zn hören. Hinter dem 
Fenster fliehende Schatten Ton rechts nach links vorüber; 
steigendes Gemurmel; einzelne grelle 

Rufe 
Der Rabbi! Der Rabbi! 
Abigail 

sieht Amina an. 

Stöhnt, stöhnt herauf wie aus tiefem Schacht! 
Du — du — aus was für einem StoflF bist du 
geschaffen? 



I02 



Amina 

ist angestanden; sein Stöhnen ist wie eines verendenden 
Tieres Lant; er schüttelt die Fäuste gegen den Boden. 

Rufe 
Weh uns! Weh unsl 

Abigail 
ordnet das Haar, fährt sich über das glühende Gresicht 

Den Vater bringen sie, den Vater! Läuft zum 

Fenster, öfihet es. 

Die Rufe, 

verstärkt. 

Weh! Weh! 

Abigail 
reifst das Fenster zu, steht wie betäubt. 

Niemand ist mit ihm! Allein kommt erl 
Durch die Luft tastet er sich — vorwärts, hat 
keinen Atem! Allein! 

Amina 

stöhnend, schüttelt die geballten Fäuste gegen das Tor. 

Rabbi 
pocht draufsen dreimal stark ans Tor. 

Abigail 
Amina! Der Vater ist doch — der Vater 
ist am Tori 

Amina 
schüttelt die Fäuste gegen das Tor. 



103 



Rabbi 

tcbligt heftiger ant Tor. Dai Fenster hat sich geofihet, 

man sieht weit hinten in der Gasse Menschen mit angst- 

erfollten Gesichtern an die Häuser gedrückt dastehn. 

Abigail, 
leiser. 

Was tust du? Was tust du gegen den Vater, 
Amina? — Amina? 

Amina 

-wie oben, sein Stöhnen ist in ein knizes Schluchzen über- 
gegangen. 

Rabbi 

ein Schlag, dann. 

Öffne! Öffne das Tor — Golem!! 

Abigail 

stürzt zn Amina, mnklammert ihn, dann mit haiserfülltem 

Ausdruck gegen das Tor. 

Lafs ihn schlagen, an das Tor! Sie zieht 

Amina weiter zurück, mit sich, gegen die Rampe su. 

Rabbi 
Golem! 

Abigail 

den Golem liebkosend, ihr Schluchzen ist mit seinem Ter-> 

eint zu hören. 

Rabbi 

Ein kraftloses Pochen; dann leise, heiser. 

Golem. 

Vorhang. 



104 



Dritter Aufzug 

Eine spStere Stunde desselben Tages. 

Taube 

links hinten beim Tot; sie bat die Hand anf den Riegel 
gedrückt. 

Rabbi 
Tom in der Mitte der Buhne; spricht leise und hastig. 

Was stehst du und klammerst dich fest ans 
Tor? Sind dir die Schritte nicht sicher in mei- 
nem Haus, über die Diele.? Hast den Weg ver- 
gessen? Geh doch, geh dahin und frag sie, 
warum sie nicht ihrem Vater unter die Augen 
treten will? Geh doch — hinauf zu ihr! 

Taube 
Nicht zu Abigail wollt ich kommen, Rabbi l 

Rabbi 
Was stehst du dann und hast deine Hand 
auf dem Riegel — damit du kannst auf und 
hinaus, wenn ich einen Schritt nur zu dir geh? 

Taube 

kommt näher. 

Weshalb sollt ich Angst vor dir haben, Rabbi? 
Rabbi 

zum Gestühl; den Kopf auf die Hände gelegt. 

So sag mir, was haben die Angst, die dort 



105 



draufsen? Dafs sie ausweichen vor meinem 
Schritt? Haben mir Teppiche vor die Füfse 
gelegt in den Gassenschmutz als einem König 
und weichen jetzt aus vor mir, so als war ich 
behaftet mit Aussatz — 

Taube 
Rabbi, ihre Hoffnungen sind ihnen aus den 
Händen weggeschlagen worden — 

Rabbi 
In grofsem Bogen weit hinten stehn sie 
herum um mein Haus, traut sich keiner näher 
heranzukommen 1 

Taube 
Noch gröfser wird werden die Leere, noch 
gröfser wird werden die Abgeschiedenheit um 
dich herum 1 

Rabbi 
hebt die HSnde. 

Dein Schöpfer behüte deine Worte, Kind! 
Was sprichst du? Zu mir bist du gekommen, 
um das vor meinem Ohr zu sagen? 

Taube 
Ganz einsam in deinem Haus, ganz einsam 
wirst du werden — Rabbi I An deinem Abend 
sollst du nicht allein bleiben und einsam 1 Da- 
zu bin ich hergekommen! 

io6 



Rabbi 
zu ihr, erfafst ihre Hände. 

Dein Wissen, Taube, woher kommt es dir? 
Wer hat gesprochen zu dir? Hab ich Bericht 
gegeben — einer sterblichen Seele, von dem 
was mir widerfahren ist? 

Taube 
Nichts ist mir kund, Rabbi! 

Rabbi 
Die Kinder auf der Gasse schreien es schon, 
was mir widerfahren ist? 

Taube 
Nein, o Rabbi 1 Wie sollt ich wissen, was 
die Menschen nicht erfahren dürfen? 

Rabbi 

Dafs ich einsam bleiben werde — einsam 
im Haus, in der Welt, dafs Abgeschieden- 
heit sein wird um mich — hast du es nicht 
gesagt? Wer — wer hat dir eingeflüstert das 
Schreckliche! 

Taube 

Rabbi, du selber, du selber hast doch ge- 
sprochen zu Rüben: wie du begehrst nach 
einem Menschen, um nicht allein zu sein mit 
all der Last, die auf dir liegt? 



107 



Rabbi 
Also bin ich schwach geworden in meinem 
Innern, dafs ich erzittern mufe vor einem Wort, 
das ein Kind spricht in Unschuld 1 So wird 
mir vielleicht her geschickt das Kind, damit 
ich soll haben ein unschuldig Herz, um hinein 
zu giefeen, was nicht mehr Raum hat in mir 
und überfliefst? 

Taube 

einen Schritt näher, bleich, mit geschlossenen Augen flüsternd» 

Rabbi, Grofsmächtiger, Licht und Blume . . . 

Rabbi, 

seine Hände ergreifen den Lenchter, tasten über die Kerzok 

weg. 

Der Engel — dir ist bewufst, Taube? Ach 
Kind, was rede ich, wie sollte dir das Wissen 
sein um den Engel? Es ist der Grofee, der 
Schwarze, der Schweigende, der die Lebendigen 
herausreifst aus den Reihen, aus den Häusern, 
mit seiner Hand — seiner schrecklichen Hand 
— die hält fest, was sie einmal genommen hat, 
fest und sicher zwischen ihren Fingern — 

Taube 

hält sich wankend an der Wand des Gestühls fest. 

Du hast deine Hände ausgestreckt nach der 
Hand des Engels, Rabbi? 

io8 



Rabbi 
Das Element, in dem er lebt, der Schwei- 
gende, mir hat es gehorcht, das Element I Nur 
wie ein Hauch brauchte über meine Lippen zu 
kommen das Wort, und es ist aufgelodert in 
die Höhe, und der Engel war zur Stelle! Aber 
ich hab aufgetan meinen Mund und stattgegeben 
dem Strom meiner Stimme, damit seine Hand 
soll kraftlos werden und ich kann herauspressen 
die Seele aus seinem GriflF — und ihm zeigen 
Gewalt gegen Gewalt! Hab ich mich vermessen, 
dafs meine Stimme so gewaltig ertönen soll? 
Ich hab mich vermessen — 

Taube 
Schrecklich war deine Stimme zu hören für 
uns auf dem Markt! 

Rabbi 
Nie mehr wird sie ertönen, wie sie ertönt 
ist im Gotteshaus! 

Taube 
Könnt ich dir geben den Odem aus meiner 
Brust heraus I 

Rabbi 
Und ich hab sie erblickt, in der Höhe, die 
Hand des Engels! Aber sie war nicht gekrampft 
und die Seele hielt sie nicht zwischen den Fin- 



109 



gern — grad ausgestreckt war die Hand und 
hat gezeigt hieher, nach meinem Haus, und hat 
sich ausgestreckt wie um zu greifen, so als 
könnte sie's nicht erwarten, herauszureifsen ihre 
Beute, aus meinem Haus heraus 1 

Taube 
Ich hörte, ich hörte dich rufen zu Mardoch, 
am Wege, Rabbi! 

Rabbi 
Und ich bin den Weg gegangen — nicht 
in mein Haus, sondern zum Toten! Ich bin 
gegangen — ^um Toten 1 schüttelt das Haupt statt 
zum Lebenden — in mein Haus — 

Taube 

Rabbi, den Weg hättest du nicht gehn 
sollen ! 

Rabbi 

Heifst es nicht: wo du dein Verderben 
schauen sollst, dorthin tragen dich deine Füfee ? 
Zum Toten bin ich gegangen und es war nicht 
der Weg, den ich sollte gehnl Denn wie ich 
im Haus war, vor dem Toten, da sagte mir 
der Blick der Mutter: was suchst du hier? Und 
hinter dem Toten, da war ein Gesicht zu schauen, 
das war wie der ewige Triumph und schaute 
mich an und ich hab erkannt: vergeblich! 



HO 



Taube 

Rabbi y selbst warst du anzusehn wie ein 
Toter ! 

Rabbi 

Hätt' er mich gefafst — hätt er meine Seele 
herausgerissen — aber neinl Wo war er ge- 
blieben, der Schwarze, der Gewaltige, wo war 
er, derweil ich mich vermessen habe? Was hat 
sich ereignet , hier , in meinem Haus , derweil 
ich fort war, und mich vermessen habe? — 
Mein Kind, mein Kind hab ich nicht erblickt, 
seit ich zurück bin, dahier in meinem Haus! 
Taube — hinauf, hinauf geh zu ihr: was kommt 
sie nicht, was zeigt sie sich ihrem Vater nicht? 
Und ich hab Angst, laut zu rufen ihren Namen! 

Taube 
Rabbi, sie hat, was sie vergessen läfst Vater 
und Welt und alles! Bereit dich, Rabbi, du 
wirst es nicht weigern können, du wirst ver- 
lieren dein Kind! 

Rabbi, 
die Hand auf ihrem Scheitel. 

Verlieren! Du junges Geschöpf, ein gutes 
Geschick flüstert dir alle deine Worte ein, dafs 
sie mild klingen und einen andern Sinn bekom- 
men in deinem Mund! 



III 



Taube 
Rabbi, nicht länger sei zornig auf Rüben! 
Trauernd sitzt er in der Stub daheim und 
schaut hinweg über die Dächer, herüber zu 
ihrem Fenster hier oben! 

Rabbi 
Soll ich ihn nun rufen, den Weg zurück, 
in das Haus, worauf der Fluch liegt, und wo- 
nach sich die Hand ausstreckt? Die Tochter 
des Grofsen heimzuführen ist er gekommen — 
Taube 
Grois bist du, Rabbi, weil du verzeihen 
kannst ! 

Rabbi 
. Du Kind, was ist zwischen deinen Augen 
und mir, dafs du mich so siehst, wie dein Herz 
mich haben möchte? Wo ist die Kraft hin- 
gekommen, die mich ausgezeichnet hat vor den 
andern? Hat sich nicht mein eigner Knecht 
aufgelehnt gegen mich? Hat sich nicht meine 
eigne Kraft gekehrt gegen mich, um mich zu 
zerschlagen? 

Taube, 

auf einmal voU Kraft. 
Lafs ihn ziehn, Rabbi ! Er soll gehn von 
dir, er soll gehn ! Nicht wirst du ihn furder 
brauchen, bei dir will ich bleiben, wUl deine 



112 



Magd sein, schweigend und gehorsam ! Er soll 
gehn, er soll gehn! 

Rabbi 
Aufgelehnt meine Kraft und ist doch nur 
— ein Golem I Ist das — meine Hand ? Ist 
das meine Stirn ? Und das, das ist doch mein 
Buch und mein Leuchter, mein Eigentum I Ge- 
horcht mir meine Hand? Und fafst den Leuch- 
ter an und zertrümmert meine Stirn, wenn ich 
nicht will? Wenn ich nicht spreche : du tu 
dies, tu jenes ? Und ein Golem, weh mir, das 
Geschöpf, von mir gewirkt, durch mich ge- 
schaffen, mein, mein — und mir entronnen 1 

Pause; herausbrechend. Ihn 1 Engel, ihn will jch 

in deine Hand pressen, er hat doch Leben, du 
siehst doch, Leben hat er erhalten, wenn er 
sich auilehnen kann gegen seinen Schöpfer 1 
Mein Leben ist's, was er erhalten hat — nimm 
ihn, Engel, nimm das Geschöpf! Was soll ich 
zahlen mit meinem eigenen Blut ? Nicht mein 
Kind, ihn, ihn reifse heraus aus meinem Hause, 
ihn, den Golem! 

Taube 
Rabbi ich furcht mich! Ich kann nicht 
deine Stimme ertragen, ich kann deine Augen 
nicht ertragen ! Rabbi, wohin blickst du ! Wie 



113 

8 Arthur Holitscher^ Der Golem 



soll ich — bei dir sein — deine Magd — sie 
fltöfft hastig den Riegel rom Tor zurück, eilt weinend hinaos. 

Rabbi 
zum Vorhang rechts rom. 

Golem ! ! 

Abigail 
kommt die Treppe herab, eilt ebenfalls znm Vorhang. 

Amina ! ! 

Rabbi 

will sie an sich pressen. 
Mein Blutl 

Abigail 
entwindet sich ihm, horcht an dem Vorhang. 
Amina 1 1 

Rabbi 
Erblick ich dich! Wo hast du dich ver- 
halten } Hast du meinen Ruf nicht vernommen? 
Über die Dächer weg hast du geblickt.^ Zum 
Haus von Rüben hast du geblickt? 

Abigail 
sieht ihn starr an. 

Auf den Himmel war mein Blick gerichtet,. 
Vater. 

Rabbi 

Nicht sollst du, mein Kindl Was hast du 
zu suchen, über dir, hoch? 



114 



Abigail 
Eine Wolke hab ich geschaut. Über dem 
Gotteshaus hat sie gestanden, näher ist sie ge- 
kommen und näher zu unserm Haus! 

Rabbi 
Näher zu unserm Haus — eine Wolke? 

Abigail 
Und gröfser — und gröfser ist sie geworden 
— im Näherkommen ! Da hab ich gefühlt, ich 
mufs herunter, nicht allein darf ich sein — 
aber da hab ich die fremde Stimme sprechen 
gehört — und wollt auch nicht herunter, und 
nichts hören! Weife gar gut die Stimme und 
was sie gesprochen hat, und hab doch kein 
Wort erspäht — 

Rabbi 
Eine fremde Stimme hast du recht vernom- 
men, aber wem hat sie angehört, die fremde 
Stimme? Deinem Vater, Kind ! Wirst du dich 
gewöhnen können an die fremde Stimme von 
deinem Vater im Haus? 

Abigail 
Was brauchst du anzunehmen die Stimme? 

Rabbi 
Mein Kind, Glück ist uns widerfahren — 



115 

8* 



Rüben ist heimgekehrt, du weifst, um dich zu 
freien ist er heimgekehrt. Ein Mann ist er ge- 
worden, erwachsen und aufrecht, er hat den 
Stolz und sein Wert ist ihm bewufet! 
Abigail 
Vater, ist nicht gess^: dem Grofeen soll 
angehören das Kind des Grofsen? Hast du 
mir nicht das Wort gesprochen über der Wie- 
gen? 

Rabbi 

Der Grofee! Menschenwort! An der Tür 
haben sie mir gelungert um Einlafs, gestern 
noch — wo sind sie nun geblieben? Ein Kind 
ist gekommen, allein, ein Kindl Hättest du aus 
deinem Fenster herunter geschaut, du hättest 
die Menschen erbUckt, wie sie einen Bogen 
machen, um das Haus des Gro&en — aber 
zum Himmel hinauf war dein Blick gerichtet! 
Über dich! — Mein Blut — wenn du auf den 
Himmel geschaut hast und dort erblickt hast 
die Wolke — verlassen sollst du das Haus, 
darüber die Wolke steht, und darin die Stimme 
nicht mehr darf laut erhoben werden! Das 
Haus deines Vaters, darin die Hand hält nieder- 
geprefet die Luft im Zorn! Verlassen sollst du 
das Haus — sieh her, dein Vater bittet, dein 
Vater erniedrigt sich vor dir! 

ii6 



Abigail 
Nicht sollst du, Vater! Ich will ja ge- 
horchen, ich will ja ziehen aus dem Haus, was 
hättest du für ein Kind an mir — wegziehen 
will ich mit mir den Fluch über deinem Haus, 
weg von dir! 

Rabbi 
Mein Kind, meines!! Mit ihren schwachen 
Kräften will sie vollbringen solches! 

Abigail 
Wem soll angehören das Kind des Grofeen? 
Rabbi, damit der Zorn soll gesühnt sein und 
weggezogen der Fluch, so will ich angehören 
dem letzten Knecht So gib mich deinem Knecht 
Aminal 

Rabbi 
Was redest du? 

Abigail 
Willig sollst du, wegen des Zorns! 

Rabbi 
Dem Golem! Dem Golem willst du an- 
gehören 1 1 

Abigail 
Nicht ruf den Namen zum Schimpf! Amina 
ss^ zu ihm! 



117 



Amina 

tritt ras der Vorhangtür. 

Rabbi 
Wen beschimpft der Name? Wüfetest du 
— michl Auf Amina in. An den Brunn mit dir, 
stehn leer die Eimer I In Speicher, Holz geholt 1 

Abigail 

m Amina. 

Nicht mehr sollst du: Golem gerufen werden I 
Auf deinen Namen sollst du hören, Amina 1 
Süfe ist mir der Klang im Ohr! 

Rabbi 
Aminal Sein Name! Kehr um das Wort 
und über dich falle es, was es hat mit seinem 
Namen, den ich ihm hab gegeben, du Kind 
ohne Verstand! 

Abigail 
Wohl weifs ich es, er ist nicht wie die an- 
dern! Warum? Er hat keinen Gott! 

Rabbi 
Mit seinem Namen, wie könnt's geschehn, 
dafs er käme zu Gott? 

Abigail 
Alle Bücher hast du! Wirken kannst du es, 
dafs er frei wird! Du wirst ihm Gott geben, 

ii8 



und er wird sein wie die andern! An seiner 
Brust das Amulett, gelernt hat er den Namen 
des Höchsten, ausgesprochen hat er ihn! 

Rabbi 
Über deine Lippen ist gekommen — 

Abigail 
Was blickst du so voll Wut auf Amina, 
Vater? Warum sollt er nicht aussprechen — 
den Namen? Vater, du zürnst, weil ein Ge- 
schöpf Gott will kennen — der über dir ist 
und uns allen? 

Amina 

hat den Rabbi angestarrt; weicht zurück, hält die Arme über 

der Brost gekreuzt; zu Abigail. 

Mein! Mein! Seine Augen auf meiner Brust, 
seine Hände auf meiner Brust — und nicht 
drückt die Schnur mehr und das rote Blatt 
nimmer — auf meiner Brust — und nichts 
mehr! 

Rabbi 

Recht gesagt: nicht Tod und nicht Schlaf, 
wenn meine Hsnd deine Brust berührt — ein 
Nichts! Weniger als ein Leichnam! Deinen 
Odem zieh ich ein durch meinen Mund in 
meine Brust zurück — brauche kaum die Lippen 
voneinander zu tun! Mein Eigen bist du! 



119 



Abigail, 
ihre Hand tchntzend auf Aminas Brut gelegt. 
Nicht strecke deine Hand aus gegen ihn! 

Rabbi 
Sie hat ihn gewirkt, sie hat ihn erschaffen 
und geformt, diese meine Hand! Wegstreichen 
zurück ins Nichts könnte sie ihn, wenn so wäre 
der Wille — leiier aber da ist eine andere Hand, 
die sich ausstreckt nach ihml 

Amina, 
zu Abigail. 

Weich ist deine Hand, sanft, nicht reifst sie 
weg, sondern streichelt I Deine Hand ist Sabbat t 

Rabbi 
Keinen Sabbat und keinen Sonnts^I Die 
Tage des Menschen sind dir nicht bestimmt! 
Wer hat dich gelehrt zu sprechen wie du sprichst? 

Abigail 
Ich! Durch mich hat er die Sprache be- 
kommen! Weil ich ihn lieb habe in meinem 
Herzen! Weil ich Liebe habe — 

Am ina 
Deine Hand ist warm — meine auch! Warm 
aus deinem Herzen herauf, aus meinem auch! 

Führt ihre Hand an seinen Mond. Leben , sagen alle 



I20 



Menschen, Leben, Leben, aber wenn ich Leben 
sagen will — schauen alle weg von mirl Du 
ss^st: Tier — du Tierl Aber die Tiere sind 
anders, und nicht wie ich! 

Abigail 

schluchzt auf vor Mitleid und sinkt vor Amina nieder. 

Rabbi 
Ein Wesen, nicht wie die Wesen sind! Und 
Leben, nicht wie das Leben der Wesen! Die 
Gliedmafsen, nicht das Fundament ! Was klagst 
du, dafs ich dich hineingestellt habe in die Welt 
der Menschen als ein Geschöpf für dich allein? 
Weiser Richter, was sind wir, die wir mitbe- 
kommen haben den Fluch von den Eltern hin- 
über zu den Nachkommen, im Blut innen? Und 
die Qual zum Erbteil und aufgehäuft Leid und 
Schmerz und Unrast — und in dir ist es still 
und nichts von Vergangenem und nichts, was 
zukünftig werden will und was nicht läfst zur 
Ruhe kommen das Innere? 

Amina 
Ein Mensch sein wie die andern! Freude 
fiihlen! Ein Mensch! 

Rabbi 
Was aus dir spricht, endlich wird's mir kund 
und klar! Das — die Meinung? Aus allem, was 



121 



y 



da böse war — tchlSgt licb an die Brost aus allem, 
was da wollte über den eigenen Kopf höher 
hinauf, und höher als ein Mensch langen kann 
mit seinem Willen hoch — aus sdldem bist du 
erschaffen ! Uj>d wenn nichts mehr sollt übrig 

bleiben WOp/^m — «leb auf Brost, Stim und Mnnd 

schlagend mid dem und dem — nimm auf! 

Gebärde, als würfe er ans sich heraus und in Amina hinein. 

Nimm auf! Aus dem Schöpfer ins Geschöpf! 
Werde gewaltig an Kraft, wachse an Kraft, da- 
mit aus mir getilgt sein soll alles, alles mit 
einem Schlag, wenn ich dich hingebe — ihm, 
der dich will! 

Amina 

windet und krümmt sich, stöhnend, beifst seine Faust, Ge- 
bärden, als risse er Ketten entzwei. 

Abigail, 

sich aufrichtend, sehr ruhig. 

Was fehlt ihm dazu, dafs er ein Mensch 
werde? 

Rabbi 
Was mir fehlt zum Gott. 

Abigail 
Die Menschen haben gessigt: Du bist mehr 
als die Menschen sind. 



122 



Rabbi 
Weniger bin ich geworden, als die Menschen 
sindl 

Abigaily 

•wie hellsehend. 

Weniger — ja — weil du deinem Kind nicht 
schaffen kannst — die Liebe — die ihm fehlt 
— zum Leben! 

Rabbi, 

zitternd. 

Hab ich dich nicht genug geliebt, mein 
Blut? 

Am in a 

bewegt sich, als wollte er zu Abigail; leise. 

Pniela — 

Abigail 
streckt die Hände nach ihm ans, sehnsüchtig und abwehrend 
zugleich. 
Amina I Leise die Treppe hinauf und ab. 

Amina 

mit dem Rabbi aliein, krümmt sich zusammen, aber es ist 

2iicht mehr Unterwürfigkeit, sondern gesammelte Gewalt. — 

Er schleicht zum Vorhang, dann zur Treppe, die Blicke 

auf dem Boden. 

Rabbi 
In die Erde willst du versinken? Ist nicht 
in der Erde dein Platz! Die Gnade soll dir 
geschehen, deinen Weg zurück sollst du finden 



123 



— zu den Elementen ! Ali Amina vor dem Vorhang 
ist. Wohin? Eine Mauer I Ali er vor de« Treppe 

ut. Und dort — dein Abgrund! Man hört oben 

Ab ig all leite ringen; die Melodie dei anfongs dei II. Akte» 
von den Jünglingen und M&dchen gesungenen Liedes; während 
des Folgenden irird der Gesang lanter nnd lanter. 

Amina 

bleibt süllstehn. 

Oben — höre ! 

Rabbi 
blickt empor. 

Gelobt! Was ein schweres Gewicht wälzt 
sich ab von mir 1 Hab nicht gefühlt bei ihren 
Worten, dafe ein Kind sie spricht, das weiiit 
in einem Augenblick, singt im andern ! Sing 
dir frei das Herz, mein Blut, mein Junges! Ge- 
lobt! Du aber — was horchst du hin? Dein 
Totengesang wird dir gesungen 1 

Amina 

zwischen Angst und eifernder Wut. 
Bei ihr sein, beistehn ihr, oben — bei ihr 
sein! 

Rabbi 

betrachtet ihn. 

Wahrhaftig, gelobt auch dafür: dafe mir 

noch einmal mein Werk zu sehn beschieden 

ist 1 Geschaffen aus der Kraft des Sterblichen* 



124 



Dafs ich darf sehn die Regung — dafs mir ist 
vor Augen mein Werk, wie ich es noch nie 
geschaut habet 

Amina 
Sein bei ihr — sein wie Rüben, sein wie 
die, so ziehen mit Gesang 1 Fühlen I Freude 
fühlen! Ein Mensch seinl Ich will! 

Rabbi 
Es war die Absicht: dienen sollt er mir, 
und nachher, wenn getan der Dienst, mir liegen 
vor den Füfsen wie ein tot Werkzeug, ein Ham- 
mer, ein Stab — aber da war mehr Gewalt 
lebendig in mir drinnen : Gerechter, wie gewal- 
tig war ich, dafs ich ihm so viel hab gegeben ! 
Gelobt auch für den Schmerz, dafs ich das er- 
kennen mufs I Dafe mir gezeigt ist vor Augen, 
wie viel ich hingeben mufs 1 Gelobt ! 

Amina 
zwischen durch die Worte des Rabbis. 

Ein Mensch sein! Ein Mensch! Ich will! 

Ich will ! Als erinnere er sich plötzlich, ausbrechend. 

Du sollst! Hab gesagt — Vater ! Zu dir hab 
ich Vater gesagt: Du — dusollst! Ein Mensch 
will ich sein — du sollst ! ! Draufsen wird's jählings 
dunkel. Man hört undeutliches Gemurmel, darauf einzelne 
Rufe. 



125 



Rabbi 
An der Zeit ist's. 

Amina 

Deine Augen sind auf meiner Brust 1 Deine 

Hand kommt zu meiner Brust ! Kremt ieine Arme 

auf der Bniit. Nicht wegreifeen das Blatt von mir I 

Nicht weg! Geben sollst du mir 1 Geben 1 Vater l 

Rabbi, 

einen Schritt ror Amina innehaltend. 
Beweinen werde ich dies mein Werk I Nicht 
um mich werd ich weinen — keine Träne, kein 
Seufzer um deswillen, dafs ich so grofs gewesen 
bin ! Um ihn werde ich weinen und trauern ! 
Nicht als einer, der hingeht und wirft mit ei- 
gener Hand sein Hab ins tiefe Meer — sondern 
als einer, dem genommen worden ist das Liebste I 
Ich werd weinen um dich, wie um einen Men- 
schen ! Was du werden willst, das bist du ge- 
worden — weil ich weinen werde um dicht 
Er schreitet, mit beschwörend erhobener Hand, auf Amina zu. 

Rufe 

hinter dem Fenster, das Fenster wird von aofsen eingedrückt» 

Eine Wolke steht über deinem Haus, Rabbi 1 
Eine Wolke über deinem Haus ! 
Amina 

weicht vor dem Rabbi zurück. 

Du willst mir nicht geben — zum Menschen! 



126 



Du willst wegreifsen mich — ins Nichts 1 Er 
bückt sieb, ergreift ein riesiges Holzscheit vom Kamin nnd 
schwingt es über des Rabbis Kopf um ihn zu zerschmettern. 
Im selben Augenblick ertönt dranfsen gellendes Geschrei; 
es wird plötzlich hell, man sieht hinter dem Fenster aus 
der Höhe einen Körper niederfallen. — Darauf Stille. — 
Das Scheit fällt polternd aus Aminas Händen. — 

Rufe 

hinter dem Fenster. 
Gegriflfen, heraus, heraus gegriflfen I Gepackt, 
gestofsen, hinunter I Weh! 

Rabbi 

ist an das Gestühl zurück getaimielt, hält sich an dem Buch fest. 

Amina 

mit einem unterdrückten, gedehnten Schrei zum Tor, auf die 
Gasse, vor das Fenster. Er kehrt sogleich, mit Abigails 
Leiche auf den Armen, zurück, legt sie rechts vom anf den 
Boden, starrt ihr kniend in Gesicht. Ein dünnes Blutgeriesel 
von der Stime über die Wange Abigails. 

Das Ghettovolk 

drängt sich im Tor und auf der Gasse hinter dem Fenster. 

Es sind unter ihnen Krüppel, Schriftgelehrte, Schüler und 

Weiber. 

Hinuntergestofsen aus dem Fenster 1 Ge- 
sungen hat das Kind, beim Lehnen, gesungen 1 
Aus dem Fenster heraus und hinunter! 

Die hinter dem Fenster 
Lebt das Kind? 



127 



Die im Haus , 

leUer. 

Tot liegt das Kind! 

Die hinter dem Fenster 
Sein eigen Kind, sein eigen Kind hat er 
nicht gerettet I 

Die im Haus , 
leiser. 

Zwei Schläge! Zwei Schläge an Bennahums 
Tor! 

Amina 

hat fich du Wami vom Leibe gerissen, so dafs das offene 

Hemd mit dem roten Amulett anf der blofsen Brust sichtbar 

wird. Er hat das Wams snsammengelegt und es der Leiche 

unter den Kopf geschoben. 

Rabbi 
ist im Gestühl ganz zusammengesunken. 

Die hinter dem Fenster 
Die Wolke ist fort! Zerstoben in nichts! 
Hell ist es geworden über dem Haus! 

Die im Haus, 

murmelnd, im Wechselgespräch. 
Seht den Rabbi! Seht den Rabbi! — Was 
ist geworden aus dem Stolz von Israel? Ein 
alter Mann ist er geworden im Augenblick! — 
Hab ich nicht gesagt: erst die hohe Stufe, dann 
der tiefe Fall? Hab ich nicht gesagt: bewein 

128 



die Toten nicht? — Seht, das Messer ist schon 
scharf über ihm! — Wie ein Krüppel ist er, 
so elend! — Weh, wenn er geworden ist, wie 
einer aus uns! — Weh uns! 

Die hinter dem Fenster 

wenden sich nach der Gasse. 
Ehrwürdiger 1 Ehrwürdiger I 

Die im Haus 

machen Platz. 
Ehrwürdiger! — Was ein Unglück über die 
Gemeinde! — Sprich zu ihm! Red zu ihm! 
Ruf ihn an! 

Der Älteste der Gemeinde 
kommt langsam nach vom. 
Gott soll vor meinen Worten sein! Bin ich 
gekommen, zu stören den Schmerz? 

Die Jüngsten unter den Schülern 

amringen ihn. 

Aufrichten soll er sich! Den Kopf soll er 
in die Höhe heben! Jetzt, wo alles auf ihm 
drückt, soll er aufrecht stehn, grofsl 

Der Älteste 
Was redet ihr! Sind wir Christen? Haben 
wir einen Gekreuzigten zum Gott? Alles oder 
nichts, so sind wir aus dem Volk der Juden ! 



129 

9 Arthur Holitscher, Der Golem 



Rüben 

dilDgt sich von der Gatse kommend, nach vom. 

Blümchen! Schönchen 1 Mein Gütelchen, 
mein AllesI 

Taube 

folgt ihm; alt sie Ablgail erblickt, wirft sie sich mit einem 
Ao&chrei zurück nnd klammert sich an den Altesten. 

Rüben 

kniet vor Ablgail nieder, Amina gegenüber, das Gesicht 
gegen den Znschaner. 

Durch das Tor bin ich, über die Schwelle 
bin ich zu dirl Kind, Abigail, hörst du mich 
nicht? T^JL deinem Fenster hinüber war mein 
Blick; warum hast du nicht hinüber geschaut, 
über dieDächer, zu mir, wie du's versprochen hast. 

Das Ghettovolk 

nmi insgesamt im Hans, spricht in charakteristischem Tonfall 
das Totengebet. 

Rüben 
Recht hab ich zu spüren gekriegt den Huf, 
hat mich getreten mitten ins Herz hinein! Und 
der Neumond am Himmel, gelenkt hat er mein 
Leben, dafs es mir verdorben istl Wo ist jetzt 
hin, was du zu mir gesprochen hast — was 
sind offen deine Augen, wenn sie mich nicht 
anschauen in Liebe? 



130 



Amin a 

erhebt sich halb; stark 

Nicht dich! Mich! 

Ghettovolk 
▼erstammt. 

Rüben 

reifst sich das Gewand entzwei; spricht nach jedem Rifs: 

Für die Braut 1 Für die Versprochene von 
den Vätern! Für die Geliebte! Schlägt «ich an die 
Brust. Für dich, weil du mich geliebt hast in 
deinem Herzen! 

Am ina 
Nicht dich ! Mich ! 

Gh etto Volk 
Den Golem! Sein eigenes Kind! Den Golem! 

Rüben 

hat Ablgails Hand erfafst und auf seinen Scheitel gelegt; er 

schlägt seinen Kopf an den Boden, so dafs die Hand von 

seinem Haar gleitet. 

Gesprochen hab ich zu dir: ich will sterben! 
Das Wort: Tod, hab ich auf meine Lippen ge- 
nommen — zur Lust! Nicht dazu, dafs einer 
sollt da liegen, kalt, blutig und ohne Regung — 
Blümchen! Nimmer, nimmer wird sie mich 
hören! Den Stein der Heimat hab ich geküfst 
in der Nacht, was ist mir jetzt die Heimat? 



131 



Gestählt hab ich meine Arme, sie sollten Kraft 
haben zu meinem Willen, was ist mir jetzt Kraft, 
was ist mir Willen? Bestehen wollt ich im Rat 
der Männer, was ist mir jetzt der Rat, was ist 
mir noch das Leben? Was bleibt für mich in 
der Welt übrig ? Leid, Leid, das bleibt für mich 
— ei, wie brennt es mich hier innen! 

Amina 

hat ihm zugehört; sieht ihn, dann die andern ringsum an; 
leise. 
Leid? Leid? Prefst beide Hände an das Herz and 
neigt seinen Kopf horchend nieder. Dann, kopfschüttelnd : 

Leid? 

Rüben, 

fast ruhig vor unerträglichem Schmerz. 

Blümchen, wie soll ich da sein im Leben, 
wach auf, was tust du mir an — 

Amina 

springt auf. 

Ich will nicht I Leiden — ein Mensch sein 

— r- leiden, leiden! Lacht lange und greU, wie sich be- 
freiend durch das Gelächter. Ein Mensch ! Ich will 
nicht ! Er reifst mit beiden Händen das Amulett samt der 
Schnur von seiner Brust und bricht an Abigails Seite zu- 
sammen, nicht wie ein Mensch, sondern wie eine Masse zu- 
sammenstürzt. — Das rote Pergamentblatt fällt neben Abigail 
nieder. 



132 



Rüben 

springt auf. Mit einem Blick anf Amina schlägt er sich zum 

Ohettovolk zurfick. Alle unter halblauten Rufen fluchtartig 

drängend cum Tor hinaus. 

Der Älteste und Taube 

sind allein beim Rabbi geblieben. 

Der Älteste, 

laut. 

Bennahum ! 

Rabbi 
schweigt 

D er Äl teste 
Bennahum ! Die heiligen Vorschriften ! Du 
versündigst dich! Hörst du meine Stimme nicht, 
Bennahum ? 

Rabbi 
schweigt. 

Der Älteste 
Das Wasser wegschütten, den Leichnam 
kleiden mufst du! Ich bleibe bei dir! Ich 
helfe dir! 

Rabbi 
schüttelt heftig den Kopf. 

Der Älteste 

erhebt die Hände, ihre Flächen dem Rabbi zugekehrt. Leise. 
So such, ob Er dir helfen wird. Ab. 



133 



Rabbi 

nach einer Weile; er blickt au^ als anche er im Leeren. 
Fort, das Kind, fort der Knecht. Hab sie 
nicht gern fortgelassen, hab sie auch nicht ge- 
halten. Still ist*s im Haus. 

Taube 

ist luhörbar sn Abigail, ist niedergekoiet und hat ihr die 
Angen ragedrückt. Sehr leise. 

In Ruh, Blümchen. Werd treu sein. Werd 
bleiben. 

Rabbi 

wie ein Blinder einen Schritt nach vom. 

Eins lebtl Ein Lebendes ist geblieben hierl 
Taube 

glättet Abigails Kleid, legt Abigails Hände anf ihrer Brnst 

zusammen. Dabei fällt ihr das Amulett in die Hände. Sie 

springt aaf und wirft es in weitem Bogen von sich. 

Das Amulett — vom Golem — verbrannt 

hat es mich, Rabbi tl Sie schlägt die Hände vor den 

Mund, es schüttelt sie, sie wankt znm Tor, das Tor fallt 

ins Schlofs hinter ihr. — Dämmemng. — 

Rabbi 
steht eine Weile da, den Kopf tief auf die Brust gesenkt. 

Von Anfang her — stand es geschrieben. 
Gebenedeit der Richter um seinen Willen. 

Er rafit sich auf, als müsse er die Glieder gewaltsam be* 
freien, geht zum Tor, legt das Eisen vor, in die Kammer, 
aus der er Folianten und Rollen herausholt, wie auch ein 



'34 



l 



zusammengelegtes Tuch, den Totenmantel. Vom Palt des 
Gestühls reifst er mit grofser Gewalt das Buch aus seinen 
Ketten heraus, bettet Buch, Folianten und Rollen zwischen 
den beiden Körpern auf dem Boden und breitet den Toten- 
mantel über alles. Er zündet den siebenarmigen Leuchter 
' an und stellt ihn auf die Erde, zu Häupten der Leichen hin. 
Er bleibt sodann ruhig stehn, mit erhobenem Kopf; die 
Kerzen beleuchten ihm Brust und Bart. Wer bist du? 

Wie bist du genannt? Sind mir entschwunden 
alle deine Namen — alle — bis auf einen: 
Der Starke bist du! Der Starke bist dul Ge- 
benedeit 1 Auch dafür, dafs du mir zu stark 
bist, auch dafür gebenedeit, gebenedeit! 

Vorhang. 



Von Arthur Holitscher ist im gleichen Verlage erschienen: 

Das sentimentale Abenteuer 

Novelle. Geh. M. 2.50, geb. M. 3.50 

Eine schöne, leidenschaftliche, sich gern und geschickt ver- 
schleiemde Fran nasiuhft einen melancholischen Dichter. Das 
ist das Thema, das Holitscher in einem persönlichen Stil er- 
zählt, den nicht jedermann verträgt oder der sich wenigstens 
beim lauten Vorlesen des Buches nicht bewährt. Beim stillen 
Lesen entdeckt man die feineren Eigenschaften des Werkes, 
dessen Held nicht umsonst Selber heisst. Selber kennt Ho- 
litscher die Welt seines Buches aus eigenem Erleben, aus eige- 
nem Erleiden. Aber man merkt, dass er TOn ihr nicht um- 
garnt ist. Er hat sich abseits gestellt, und bei allem Zauber 
dieser geistigen internationalen Gesellschaft hat er gespurt, dass 
ihre Schmerzen und ihre Begeisterungen Ironie verdienen. Und 
so, ironisch nachsichtig, ein wenig schmerzlich, und in unge- 
brochenen Gefühlen nur dort, wo der wirklich grosse Künstler, 
ein norwegischer Maler, auftritt, erzählt er das „Abenteuer^. 

{Der Bund, Bern) 

Ein Buch reicher Anregungen, voll helläugiger Gedanken 
und verschwiegener Empfindungsrätsel ist Arthur Holitschers 
„Das sentimentale Abenteuer". Mit einer kühlen Schärfe, der 
keine groteske Linie entgeht, zeichnet der Autor die Welt jenes 
Cafehauskünstlertums, das jede eigene Regung, jeden eigenen 
Gedanken wie ein Wunder bestaunt, von dem der Kunst nun 
die Erlösung kommen müsse. In diese Welt stellt er zwei 
Sondergestalten, einen Literaten — wohl nicht ohne Züge des 
Selbstporträts — der aus dieser Kulissenwelt zu einem grösseren, 
und gesünderen Dasein wachsen möchte, und ein 'Weib, voll 
seltsamer Neigungen und tiefen Heimlichkeiten des Gefühles. 
Sie gehört dem einzigen, wahren Künstler, von dessen Bild in 
diesen Kreis nur ein drohender Riesenschatten fällt. Wie 
Senger, der Literat, dieses Weib aus dem Banne des Grösseren 
wohl gewinnen, aber nicht halten kann, ist in einer eigenen 
Melodie mit lockenden Untertönen einer wahren Sehnsucht und 
doch nicht ohne durchklingende Selbstironie erzählt. 

{Wiesbadener Tagblatt) 

Bnchdrackerei Boitsfch, Alb«rt Schills«, Roituoh. 



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ANOVERDUEFEE IFTHISBOÖK^s So? 
RETURNED TO THE LIBRARY ON OK 

BELOW. NON-RECEIPT OF O VERDI JF 
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